„All I See Is You“, USA/Thailand, 2016
Regie: Marc Foster; Drehbuch: Marc Forster, Sean Conway; Musik: Marc Streitenfeld
Darsteller: Blake Lively, Jason Clarke, Ahna O’Reilly
Wirklich damit gerechnet hätte wohl niemand mehr, schließlich war Gina (Blake Lively) noch eine Teenagerin, als ihre Familie in einen Unfall verwickelt wurde und sie in Folge ihr Augenlicht verlor. Eine Operation soll ihr nun, Jahrzehnte später, aber zumindest einen Teil davon zurückgeben. Tatsächlich ist die Prozedur ein Erfolg, nach und nach kann sie immer mehr erkennen und beginnt auch, ihre Unabhängigkeit wieder zu erlangen. Das wiederum ist für ihren Ehemann James (Jason Clarke) ein Problem, der es bis dahin eigentlich ziemlich genossen hat, alles für sie zu tun und zu entscheiden.
Der eine oder andere Horrorfan wird sich vielleicht noch an The Eye erinnern, sei es das Hongkong-Original oder das Hollywood-Remake. Darin wird einer Frau, die seit ihrer Kindheit blind ist, eine fremde Hornhaut transplantiert, durch diese sie wieder sehen kann. Mit einem erschreckenden Ergebnis: Auf einmal sind da überall Schattenwesen, die Rückkehr ins Reich der Sehenden bedeutete darin auch Eintritt in das Reich des Albtraums. In All I See Is You geht es zwar weniger fantastisch zu. Aber auch hier währt die Freude der wiedererlangten Sehkraft nicht lange, wenn diese diverse Abgründe erblickt.
Das Auge isst mit, selbst wenn es blind ist
Die sind jedoch weniger visueller Natur. Im Gegenteil: Regisseur Marc Foster und sein Kameramann Matthias Koenigswieser sind augenscheinlich daran interessiert, dem Publikum jede Menge Eye Candy mitzugeben. Da wäre zum einen das Setting, das größtenteils schöne Landschaftsaufnahmen von Thailand bedeutet, unterbrochen von einem ebenfalls reizvollen Kurztrip nach Spanien, wo Ginas Schwester Carla (Ahna O’Reilly) wohnt. Dass diese Orte für die Geschichte völlig irrelevant sind, stört niemanden wirklich. Hauptsache, es gibt was zu sehen. Die Darsteller sind ohnehin attraktiv, schließlich soll das Drama ja Zuschauer anlocken. Und dann wären da noch die vielen Stilspielereien, die teilweise Ginas begrenzte Sehmöglichkeiten zum Ausdruck bringen sollen, oft genug aber zu offensichtlich Selbstzweck sind. Interessante Perspektiven gewinnt All I See Is You dem Schicksal der jungen Frau damit nicht ab.
Ob man sich an solchen Style-over-Substance-Ausflügen erfreut, sie ignoriert oder sie Anlass zum Ärger sind, das sei jedem selbst überlassen. Die eigentliche Schwäche des Films ist es, dass er darüber hinaus so wenig aus seinem Material macht – und das, obwohl er viel zu viel macht. All I See Is You, das hätte ein leises Drama sein können über eine sich langsam auflösende Beziehung. Eine Überlegung auch darüber, wie sehr die Fähigkeit zu sehen Teil einer Beziehung ist. Wie sieht eine Liebe aus, wenn man sein Gegenüber gar nicht sehen kann? So hat es sich Gina bislang ganz gemütlich darin gemacht, von ihrem Mann abhängig zu sein. Ist das eine notwendige Folge ihrer Blindheit? Ist sie allgemein ein unterwürfiger Mensch? Gerade in einer Zeit, in der #MeToo die Debatte über Frauen im Film prägt, wäre es spannend gewesen, sich Gedanken zu traditionellen Rollenbildern und Machtverhältnissen innerhalb eines Paares zu machen. Was wäre gewesen, wenn Gina sehen könnte und James blind wäre? Hätte er sich ähnlich untergeordnet?
Eine Spannung, die keine ist
Forster, der zuvor unter anderem das hochgelobte Drama Wenn Träume fliegen lernen und James Bond 007 – Ein Quantum Trost inszeniert hat und hier am Drehbuch beteiligt war, hat aber überhaupt kein Interesse daran. Weder an den Themen. Noch daran, einen leisen Film zu drehen. Stattdessen schiebt er sein neuestes Werk mit der Zeit immer weiter in Richtung Thriller. Mit der Wahrheit haben es beide Protagonisten nicht so, dafür versuchen sie sich an diversen Machtspielchen, die immer weiter eskalieren. Das hätte vermutlich irgendwie spannend sein sollen, ist letzten Endes aber ebenso überzogen und selbstverliebt wie die Kameraspielereien und führt nur dazu, dass man die Beteiligten kaum mehr ernstnehmen kann. Wenn dann zum Ende hin die schweren Geschosse aufgefahren werden, ist man innerlich schon so abgestumpft, dass es einem völlig egal ist, wer da wen hintergeht und ob die Beziehung nun auseinanderbricht oder nicht.
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