„Auf der Jagd – Wem gehört die Natur?“, Deutschland, 2017
Regie: Alice Agneskirchner; Musik: Gert Wilden Jr.
Auf der Jagd – Wem gehört die Natur? betrachtet den Facettenreichtum und die Komplexität des deutschen Waldes. Dabei steht eine Frage im Mittelpunkt: Wem gehört die Natur? Den Tieren? Den Menschen? Oder sollte sie einfach sich selbst überlassen sein? Die Regisseurin Alice Agneskirchner macht sich auf die spannende Suche nach einer Antwort und beleuchtet dabei in Gesprächen mit Jägern, Förstern und diversen Spezialisten verschiedene Perspektiven. In diesem Vorhaben trifft sie inmitten unserer modernen Zivilisationen auf eine fast vergessene und beinahe unberührte Schönheit der Natur, deren Bewohner sich im tiefgrünen Dickicht tummeln: Von majestätischen Hirschen und trittsicheren Gämsen in den bayerischen Alpen bis hin zu zurückgekehrten Wolfsrudeln in den Wäldern Brandenburgs bietet die deutsche Fauna eine überraschende Vielfalt, mit der es im Einklang zu leben gilt.
Meditativ und visuell beeindruckend
In der Morgendämmerung liegt der Wald noch im Halbdunkel. Nebelschwaden steigen aus dem moosbedeckten Boden zwischen den Stämmen der Fichten auf. Ein Wolf tritt aus der Dunkelheit ins Zwielicht. Der Jäger sitzt in seinem Hochsitz, die Flinte lehnt an der Öffnung. Die ersten Minuten des Films kommen ohne irgendein gesprochenes Wort zurecht. Erst als die Tat vollbracht und ein Wildschwein geschossen ist, spricht der Jäger und unterbricht die magische Stille. Die Eröffnungssequenz vermittelt das authentische Gefühl, auf der Jagd zu sein. In seiner Ruhe und seinen beeindruckend Landschafts- und Tieraufnahmen ist der Film nicht nur eine Hommage an die die Schönheit und den Bann des Waldes, sondern wird in seiner besinnlichen Ausführung zu einem besonderen Seh-Erlebnis für den Zuschauer.
Informativ und unvoreingenommen
So romantisch wie der Ruf und die Aura des Waldes sein mögen, steckt hinter seiner Existenz ein für den Otto Normalbürger verborgenes und undurchschaubares bürokratisches System. Agneskirchner, die durch das in der deutschen Gesellschaft vorurteilsbehaftete Bild des mordenden Jägers zu ihrem jüngsten Projekt motiviert wurde, konzentriert sich mit aufklärender Absicht nicht nur auf die Rolle des Jägers, sondern spinnt ein inhaltlich verwobenes Netz verschiedener Faktoren, die das Dasein des deutschen Wald beeinflussen. Neben dem Alltag der rund 384.000 Jäger und Jägerinnen, die in Deutschland leben und schießen, der deutschen Jagdtradition und dem enormen Druck, der von den Forstbehörden auf diese ausgeübt wird, werden außerdem Themen wie industrialisierte Massentierhaltung als Gegenmodell zur Jagd in freier Wildbahn, der Wandel und die Nutzung der vom Menschen kontrollierten Natur als Kulturlandschaft und die Bedrohung bestimmter Tierarten, wie dem Wolf und der Gämse, zum Kanon hinzugefügt.
Obwohl alle im Film vorgestellten Punkte als Rädchen im Getriebe des Waldes als Lebensraum und Wirtschaftssystem problemlos ineinandergreifen, holt der Film teilweise zu weit aus und beschäftigt sich mit zweifellos informativen, für den Kern der Narration jedoch überflüssigen Nebenschauplätzen, die das ohnehin gemäßigte Tempo retardieren und der Struktur zur Last fallen. Besonders positiv dagegen ist die Tatsache, dass es der Regisseurin gelingt, eine unparteiische Haltung einzunehmen und jeden Jäger, Tierschützer, Wildbiologen, Förster, Waldbesitzer und Bauern zu Wort kommen zu lassen, ohne deren Rolle oder Ansichten in irgendeiner Weise zu evaluieren. Am Ende liegt es in der Hand des Zuschauers, über das Gesehen nachzudenken und sich eine eigene Meinung zu bilden.
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