„Der Himmel über Berlin“, Deutschland/Frankreich, 1987
Regie: Wim Wenders; Drehbuch: Wim Wenders, Peter Handke, Richard Reitinger; Musik: Jürgen Knieper, Laurent Petitgand
Darsteller: Bruno Ganz, Solveig Dommartin, Otto Sander
Sie sind nicht sehr glücklich diese Menschen, das spürt Damiel (Bruno Ganz). Gemeinsam mit seinem Freund Cassiel (Otto Sander) streift der Engel durch die Stadt, hört in die Leute hinein, die in dem geteilten Berlin leben. Doch was bedeutet Glück überhaupt? Was heißt es, etwas zu fühlen? Je mehr Einblicke Damiel in das Leben der Menschen erhält, umso größer wird der Wunsch, die Welt aus ihrer Perspektive entdecken zu können. Als er auch noch der Akrobatin Marion (Solveig Dommartin) begegnet und sich in diese verliebt, beschließt er, sein Dasein als Engel zu beenden und selbst sterblich zu werden.
Wer die Berlinale besucht, der tut das in der Regel, um neue Filme kennenzulernen – seien es große Namen oder Indiegeheimtipps aus aller Welt. Doch auch die Aufführung älterer Werke, neu restauriert, gehört fest zum Programm von Deutschlands größtem Filmfest. An einem davon führte dann dieses Jahr kein Weg vorbei, zu bedeutend war und ist es. So bedeutend, dass er mal als der ultimative deutsche Film bezeichnet wurde. Das mag sicher auch an dem Setting liegen, schließlich spielte Der Himmel über Berlin in der geteilten Stadt, zwei Jahre vor dem Mauerfall. Wenn hier die Engel umherstreifen, dann bedeutet das eben auch eine Begegnung mit einem zerrissenen Deutschland.
Eine Welt fast ohne Farben
Der Himmel über Berlin hat aber noch viel mehr zu bieten als nur einen Ort. Schließlich hat es genug Filme gegeben, die in Berlin spielen. Es ist eher die Art und Weise, in der Wim Wenders die Geschichte um einen Engel umsetzt, der einmal die Welt der Menschen auf ihre Weise erleben will. Ein Großteil des Films ist in Schwarzweiß gedreht, mit leichten Sepia-Anleihen. Nur wenn Damiel sterblich wird und die Wahrnehmung seiner Schützlinge annimmt, sieht er – und damit das Publikum – die Welt in all ihren Farben. Sehr viel schöner wird Wenders’ Version von Berlin dadurch aber nicht, zumindest nicht nach herkömmlichen Maßstäben. Baufällig ist sie an vielen Stellen, mit Graffitis beschmiert, kein Ort der Freude. Und doch ist es ein seltsam hypnotischer Anblick, geradezu zauberhaft, eine Abbildung der Wirklichkeit, die selbst nicht wirklich aussieht.
Der Inhalt selbst ist dabei eher zweitrangig. Anders als das US-Remake Stadt der Engel, das sich vor allem auf den Aspekt der Romanze stürzte, folgt Der Himmel über Berlin keinem roten Faden, keiner klassischen Dramaturgie. Die Begegnung mit Marion mag der Katalysator gewesen sein, die Welt der Engel zu verlassen. Aber sie steht nicht im Mittelpunkt, auch weil es einen Mittelpunkt hier gar nicht gibt. Wenders und sein Team improvisierten seinerzeit viel, reihten Fragmente aneinander, ohne dass daraus eine wirkliche Geschichte würde. Ein Abfolge von Szenen und Situationen, gleichzeitig nichtssagend und doch auch tiefgründig sind.
Die Sprache ist irgendwo da draußen
Das hängt auch mit dem ungewöhnlichen Gebrauch von Sprache zusammen. Richtige Dialoge sind eher selten, an vielen Stellen würde man Der Himmel über Berlin erst einmal für einen Stummfilm halten. Dabei wird durchaus gesprochen, in Form von Voiceovers beispielsweise, die gern auch Poesie sein dürfen. Dazu gesellen sich Sprachfetzen der Stadt, die wir hören, wenn Damiel an den Menschen vorbeiläuft. Kurze Momentaufnahmen, die uns mehr über die Leute und ihr Leben erzählen, über die damalige Gesellschaft aber auch das Menschsein an sich.
Sehr zugänglich ist das natürlich nicht. Auch wenn damals in Deutschland und Frankreich jeweils rund eine Million Menschen in die Kinos gingen, als Massenfilm würde man Der Himmel über Berlin wohl kaum bezeichnen. Manch einer wird das hier als langweilig verfluchen, als selbstverliebt. Als einen Film, der sich lieber mit der Fassade beschäftigt als mit dem Inhalt. Doch wer sich darauf einlassen kann, der erlebt hier einen Trip, der zwar ein bisschen lang geraten ist, aber über weite Strecken als impressionistisch-mystisches Kunstwerk fesselt und einmalig ist – auch mehr als 30 Jahre später.
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