Die Sanfte
© Grandfilm

„Krotkaya“, Frankreich/Deutschland/Litauen/Niederlande, 2017
Regie: Sergei Loznitsa; Drehbuch: Sergei Loznitsa
Darsteller: Vasilina Makovtseva

Die Sanfte
„Die Sanfte“ läuft seit 3. Mai 2018 im Kino

Es war ein Paket wie jedes andere. Ein bisschen Essen, kleinere Haushaltsgegenstände. Dinge, mit denen Alyonka (Vasilina Makovtseva) ihrem Mann im Gefängnis den Alltag erleichtern wollte. Und doch kam dieses zurück. Unzustellbar. Warum ausgerechnet dieses Paket nicht ankam, das kann ihr niemand bei der Post erklären. Da auch sonst niemand ihr Auskunft erteilen will, macht sie sich auf den langen Weg nach Sibirien, um das Paket persönlich zu übergeben. Ruhig, aber hartnäckig sucht sie dort nach Antworten, will wissen, was los ist, und lässt sich dabei nicht von der Willkür und den Schikanen der anderen aufhalten.

Wenn Filme über Russland bei uns in die Kinos kommen, dann fallen sie derzeit in eine von zwei Kategorien. Die eine zeigt das historische Russland in Form von opulenten Kostümfilmen – siehe Der Duellist – Im Auftrag des Zaren oder Mathilde – Liebe ändert alles. Die anderen sind in der Gegenwart angesiedelt, sind bittere Dramen, welche ohne jede Scheu die heutige Gesellschaft an den Pranger stellen. Arrhythmia zum Beispiel, in dem ein Sanitäter gegen das unmenschliche und zynische Gesundheitswesen ankämpft. Und natürlich die Werke von Andrey Zvyagintsev (Leviathan, Loveless), die einen beim bloßen Zusehen innerlich erfrieren lassen.

Ein aussichtsloser Kampf
In Die Sanfte lässt der ukrainische Regisseur und Drehbuchautor Sergei Loznitsa (Austerlitz, Mein Glück) ebenfalls kein gutes Haar an Mütterchen Russland, wenn Grundrechte mit Füßen getreten werden. Eine unbedeutende Nachtwächterin aus der russischen Provinz im Kampf gegen die Behörden – wer hier den Sieg davontragen wird, das erfordert nicht allzu viel Fantasie. Eine typische David-gegen-Goliath-Geschichte ist es, die hier erzählt wird. Mit dem Unterschied nur, dass das Drama eben keine der Feel-good-Varianten ist, die uns mit dem Triumph der Gerechtigkeit das Herz wärmt.

Herzerwärmende Szenen sind insgesamt verschwindend gering in ihrer Anzahl. Und das obwohl Die Sanfte mit einer Laufzeit von mehr als 140 Minuten nun wirklich genug Anlässe geboten hätte. Dann und wann gibt es sie, die Momente, in denen man an das Gute glauben könnte. Momente der Solidarität, wenn sich die einfachen Leute, Opfer der russischen Willkür, zusammenfinden. Doch sie halten nicht lang an, sind oft von Misstrauen geprägt – wollen diese Leute wirklich helfen oder verfolgen sie ein anderes Ziel? – oder werden auf die eine oder andere Weise ad absurdum geführt.

Der alltägliche Wahnsinn
Ohnehin ist Die Sanfte ein Film, bei dem der Alltag und das Absurde nah beieinander liegen, bei dem Naturalistisches fließend ins Surreale übergeht. Schon die Versuche von Alyonka, die lange Zeit nicht einmal einen Namen erhält, gegen die Windmühlen der Bürokratie anzukommen, könnten von Kafka stammen. Je mehr Menschen sie begegnet, je länger der Film andauert, umso unwirklicher wird das Geschehen. Ein Albtraum, der gleichermaßen erschreckend wie komisch ist.

Geduld fordert das Drama, welches letztes Jahr auf dem Filmfest München seine Deutschlandpremiere feierte, dabei schon von dem Publikum. Es ist nicht nur ziemlich lang, sondern auch weitestgehend frei von einer richtigen Handlung. Längere Passagen bestehen darin, dass die Protagonistin stumm irgendwo steht oder sitzt, während wir den Geschichten der anderen lauschen. Die haben dann zwar nicht unbedingt etwas mit dem Schicksal der Nachtwächterin zu tun, setzen sich aber doch zu einem Gesamtbild Russlands zusammen. Es ist kein sehr homogenes Bild, zu oft wird gestritten, diskutiert, geschimpft. Es ist auch kein sehr einladendes Bild. Keines, das dazu ermuntern würde, das große Land zu bereisen. Aber es ist ein sehenswertes Bild, voller Details, manche offensichtlich, andere eher versteckt, das trotz seiner unwirklichen Stimmung eine Menge über das Land und die Menschen dort zu zeigen hat.



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„Die Sanfte“ erzählt, wie eine unbedeutende Nachtwächterin aus der russischen Provinz auf der Suche von den Behörden schikaniert wird. Das ist eine im Grunde typische David-gegen-Goliath-Geschichte, der jedoch die herzerwärmenden Momente fehlen. Stattdessen schwankt das Drama zwischen Naturalistischem und Surrealen hin und her, ist gleichzeitig auf absurde Weise komisch und zutiefst bitter.
7
von 10