Hanagatami

Hanagatami

„Hanagatami“, Japan, 2017
Regie: Nobuhiko Obayashi; Drehbuch: Nobuhiko Obayashi, Chiho Katsura; Vorlage: Kazuo Dan; Musik: Kôsuke Yamashita
Darsteller: Shunsuke Kubozuka, Takako Tokiwa, Honoka Yahagi, Hirona Yamazaki, Mugi Kadowaki, Shinnosuke Mitsushima, Keishi Nagatsuka, Tokio Emoto

Hanagatami
„Hanagatami“ läuft im Rahmen des 18. Nippon Connection Filmfests in Frankfurt am Main (29. Mai bis 3. Juni 2018)

Japan 1941: Der 17-jährige Toshihiko (Shunsuke Kubozuka) kehrt von Amsterdam in seine Heimatstadt Karatsu zurück, um bei seiner Tante Keiko (Takako Tokiwa) und deren todkranken Tochter Mina (Honoka Yahagi) zu leben. Dort freundet er sich mit dem lebenshungrigen Ukai (Shinnosuke Mitsushima), dem nachdenklichen Kira (Keishi Nagatsuka) und dem Klassenclown Aso (Tokio Emoto) an, die mit ihm in eine Klasse gehen. Mit ihnen erfährt er die Freuden der ersten Liebe und des Lebens, genießt Natur und Kultur. Doch das Glück wird überschattet von dem Krieg, der sich zwischen Japan und den USA anbahnt.

Der Schock saß tief, als Nobuhiko Obayashi die traurige Nachricht erhielt: Lungenkrebs, Stadium vier, nur wenige Monate wurden ihm noch prognostiziert. Inzwischen hat der Regisseur und Drehbuchautor diese Prognose zwar Lügen gestraft, doch die knappe verbleibende Zeit wollte er nutzen, um sich einen lang gehegten Traum zu erfüllen: die Verfilmung von Kazuo Dans Roman Hanagatami aus dem Jahr 1937. Den hatte Obayashi schon vor rund 40 Jahren adaptieren wollen. Stattdessen schuf er aber Hausu, einen bizarren Horror-Experimentalfilm, der heute Kultstatus genießt und zumindest im Westen das bekannteste Werk des Japaners bleiben sollte.

Das ist jetzt aber nicht echt, oder?
Das liegt natürlich auch daran, dass es seine sonstigen Filme nicht bis hierher schafften. Umso schöner die Überraschung, dass sich das japanische Filmfest Nippon Connection dem Spätwerk Obayashis angenommen hat. Denn auch mit inzwischen 80 Jahren auf dem Buckel so hat der Altmeister des Sonderbaren doch nichts von seiner Verspieltheit und Exzentrizität verloren. Das beweist Hanagatami schon in den ersten Minuten, trotz einer Laufzeit von 169 Minuten wartet der Filmemacher nicht lange, um das Publikum zu überraschen. So werden die Jungs an der Schule stilecht mit Kirschblütenregen eingeführt, wenn sie den Klassensaal betreten. Und Jungs sind sie ohnehin nicht, zumindest auf das Alter bezogen: Die jüngsten der vier aus der Clique sind im wahren Leben Ende 20, Keishi Nagatsuka sogar schon jenseits der 40. Wenn solche gestanden Männer nun auf einmal Teenager spielen sollen, dann sind durch diese so offensichtliche Diskrepanz die ersten Fragezeichen schon da, noch bevor die Geschichte angefangen hat.

Aber es wird nicht bei diesen bleiben. Je weiter Hanagatami voranschreitet, umso eigenwilliger wird der Film, umso seltsamer, gar surrealer. Und umso düsterer. Was zunächst noch klassische Coming-of-Age-Themen abhandelt, darunter Freundschaft, Liebe und Selbstfindung, wandelt sich immer mehr zu einer Auseinandersetzung mit dem Krieg. Zwar werden fleißig nationale Flaggen gehisst, stolz der Armee und Marine beigetreten, doch das Drama begegnet diesem Patriotismus mit viel Distanz. Seltsam verfremdete Soldaten wirken wie aus einem Fiebertraum, nehmen dämonische Züge an, um die Kriegsbegeisterung zu verzerren.

Unterdrückte Gefühle und viel Symbolik
Und auch auf der persönlichen Ebene wird es zunehmend finster. Gerade mit dem Erwachen erotischer wie romantischer Gefühle droht das Band zwischen den Jugendlichen immer wieder zu reißen. Von unschuldiger Liebe ist hierbei kaum etwas zu spüren, immer spielt irgendwo Tragik mit hinein, wird in Abgründe geschaut. Wobei Obayashi viel mit Symbolik arbeitet und das genaue Wort vermeidet. Wer hier was für wen empfindet, das wird oft nicht ganz klar. Beispielsweise ist Hanagatami vollgestopft mit homoerotischen Momenten, die aber nie eine Auflösung erfahren oder auch nur angesprochen werden. Es ist nicht einmal ganz offensichtlich, ob es sich dabei immer um reale Augenblicke handelt oder eingebildete, unterdrückte Wunschträume, die sich ihren Weg auf die Leinwand bahnen.

Stilistisch ist Hanagatami ohnehin ein einziger Fiebertraum, der noch einmal die Experimentierfreude von Obayashi veranschaulicht. Da werden Bilder ineinandergeschoben, offensichtlich künstliche Hintergründe eingebaut, mit starken Farbkontrasten gearbeitet und surreale Szenerien entworfen – der Film ist an vielen Stellen mehr Collage denn tatsächliches Set. Und das gilt auch für den impressionistischen Inhalt, der sich eher für das Gefühl dieser Zeit interessiert als für eine kohärente Geschichte. Wer Letztere unbedingt braucht, der wird – nicht zuletzt wegen der enormen Laufzeit – an diesem etwas anderen Kriegsdrama verzweifeln. Experimentierfreudige Zuschauer dürfen sich hingegen auf ein Seherlebnis freuen, welches es in dieser Form nur selten gibt, sowie auf ein unbestimmt bewegendes Antikriegsplädoyer, das trotz der historischen Kulisse auch im Jahr 2018 noch eine Menge zu sagen hat.



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Die Schauspieler sind zu alt für ihre Rollen, die Hintergründe unübersehbar künstlich, die Geschichte lässt oft Kohärenz oder genaue Aussagen vermissen. Doch was sich wie Mängel anhört, ist im Gegenteil die große Stärke von „Hanagatami“. Die Adaption eines Romans aus den 1930ern zeigt die besondere Stimmung des Vorkriegs-Japans und den Verlust der Unschuld, wird zu einem bedrohlichen wie bewegenden Fiebertraum, der eine Menge zu sagen hat, selbst wenn man nicht genau versteht, was es eigentlich ist.
7
von 10