Inland Sea

Inland Sea

„Minatomachi“, Japan/USA, 2018
Regie: Kazuhiro Sôda

Inland Sea
„Inland Sea“ läuft im Rahmen der 18. Nippon Connection in Frankfurt a. M. (29. Mai bis 3. Juni 2018)

Ein kleines Déjà-vu-Erlebnis ist es ja schon, sich Inland Sea anzusehen. Drei Jahre ist es mittlerweile her, dass Regisseur Kazuhiro Sôda in Oyster Factory nach Ushimado fuhr, um von dem allmählichen Ende der dortigen Austernzucht zu erzählen. Nun ist er zurück mit einer weiteren Dokumentation, die ebenfalls in dem kleinen japanischen Hafenstädtchen spielt. Erneut geht es um die Menschen, die dort leben. Erneut geht es um Fischereibetriebe, für die es keine echte Zukunft gibt. Erneut geht es auch um Katzen, die den Ort und ihre Bewohner fest in der Pfote haben.

Der größte, wenn auch rein optische Unterschied: Inland Sea ist komplett in Schwarzweiß gehalten. Das ist zunächst einmal eine kleine Enttäuschung, da gerade die Wasseraufnahmen doch ein wenig von ihrem idyllischen Zauber verlieren. Stattdessen wirkt das Geschehen sehr düster und bedrohlich, so als würde da in den Schatten irgendein Mörder darauf warten, endlich zuzuschlagen. Mit dem im Grunde nur wenig spektakulären Inhalt hat das weniger zu tun. Es ist noch nicht einmal so, dass das Schwarzweiß ein visueller Genuss wäre. Anders als diverse Spielfilme, die zuletzt auf jegliche Farbe verzichteten – allen voran Der Hauptmann – geht der Dokumentarfilm nicht unbedingt als Kunstwerk durch. Dafür ist hier vieles zu unfertig, zu roh, zu wenig bearbeitet.

Der Weg des Zufalls
Andererseits passt genau das dann auch wieder zu der Vorgehensweise von Sôda. Es ist eben kein schönes Bild, das er da zeichnen will. Dafür hat es auch nicht genügend Struktur: Inland Sea bedeutet, durch den Ort zu gehen, aufs Meer zu fahren, sich treiben zu lassen. Das macht den Dokumentarfilm, der seine Weltpremiere auf der Berlinale 2018 feierte, einerseits etwas ermüdend. Die zwei Stunden Laufzeit, die er für sich in Anspruch nimmt, werden nicht unbedingt durch den Inhalt gerechtfertigt, da sind viele Szenen dabei, die keinen echten Informationswert haben, die uns nichts Neues erzählen.

Es ist aber auch die Stärke des Films. Wenn wir an der Seite von Sôda durch den kleinen Ort schlendern, dann sind die Schritte vom Zufall gelenkt. So als wären wir selbst in Ushimado, etwas verloren, würden umherlaufen, uns umschauen, welchen Menschen wir begegnen. Welche Geschichten und Anekdoten wir aufschnappen. Geschichten des 86-jährigen Fischers Murata, der vergessen hat, wie alt er ist. Von Frau Koso, die den örtlichen Fischladen führt und jeden Tag selbst noch auf dem Fischmarkt einkauft. Von Frau Kumi, die jeden Tag an der Küste spazieren geht, am Wasser entlang, in dem sie sich vor einigen Jahren das Leben nehmen wollte.

Das langsame Ende
Es sind solche Themen, die den Beitrag vom japanischen Filmfest Nippon Connection in Frankfurt am Main bestimmen, wo er Ende Mai 2018 zu sehen sein wird. Das Vergessen. Traditionen. Alter. Lebensmüdigkeit. Die Jungen haben Ushimado schon vor langer Zeit verlassen, nachdem sie keine Perspektive mehr hier sahen. Der Rest, verloren zwischen Erinnerungen, macht weiter, so lang es geht. Bis es nicht mehr geht. Eine der traurigsten Szenen ist, wenn Frau Kumi die Straße entlangläuft und das Filmteam auf die leerstehenden Häuser aufmerksam macht, die sich hier aneinanderreihen. Deren Besitzer sind gestorben, es fand sich niemand, der hierher wollte.

Gleichzeitig ist es aber auch rührend, wie diejenigen, die noch da sind, auch füreinander da sind. Man kennt sich, kennt die Geschichten der anderen. Man kümmert sich. Eine Familie hat es sich zur Aufgabe gemacht, die vielen umherstreunenden Katzen zu versorgen, die sonst verhungern würden. Frau Kumi schnippelt einen Fisch, den sie selbst nicht mag, für einen Herrn zurecht, der nicht wie erwartet auftaucht – was sie gleichzeitig verärgert und sorgt. Denn wenn man sich nicht darauf verlassen kann, dass die Sachen sind, wie sie immer waren, worauf kann man sich dann verlassen? Inland Sea handelt dann oft auch davon, wie sich alles langsam verändert. Der Fisch wird weniger. Das Geld wird weniger. Die Menschen werden weniger. Auch wenn die Protagonisten hier sehr aktiv sind, bis ins hohe Alter arbeiten, es ist ein trauriger Dokumentarfilm, den Sôda da gedreht hat. Einer, der die Themen von Oyster Factory fortsetzt, aber kaum dessen Wärme. Der immer wieder Fische zeigt, die in Körben, Schalen oder Verpackungen nach Luft schnappen. So wie die Interviewpartner hier darauf warten, dass alles irgendwann vorbei sein wird.



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In „Inland Sea“ kehrt Regisseur Kazuhiro Sôda in das kleine Hafenstädtchen Ushimado zurück, unterhält sich mit den Menschen, schaut beim Alltag zu. Das ist teilweise rührend, oft aber auch traurig und düster – nicht zuletzt wegen der unheimlichen Schwarzweißbilder. Der Ausflug an einen Ort, der sich langsam auflöst und in Vergessenheit gerät.