„Mori no iru basho“, Japan, 2018
Regie: Shûichi Okita; Drehbuch: Shûichi Okita
Darsteller: Tsutomu Yamazaki, Kirin Kiki
Wie lange Morikazu Kumagai (Tsutomu Yamazaki) wohl inzwischen schon nicht mehr sein Grundstück verlassen hat? 20 Jahre? 30 Jahre? Aber wozu auch, schließlich findet der zurückgezogen lebende Maler in seinem Garten all die Inspiration, die er braucht. Da gibt es Ameisen zu beobachten, die ganzen Pflanzen. Zur Not tut es auch ein Stein. Zumal er ja nicht allein ist. Seine Frau Hideko (Kirin Kiki) ist ständig an seiner Seite. Und dann wären da noch die vielen Besucher, die immer wieder bei ihm vorbeikommen. Zu viele für einen Mann, der gern einfach mal für sich wäre.
In Deutschland dürften nicht allzu viele mit dem Namen Morikazu Kumagai vertraut sein. So manch einer würde sich vielleicht auch schwer damit tun, seine Werke als Kunst zu erkennen: großflächig, wenige Details, wenige Farben, dazu einfache Objekte wie Katzen oder Blumen, die recht naiv-kindlich abgebildet wirken. Es ist noch nicht einmal so, dass sein Leben so wahnsinnig spannend wäre. Sicher, es mag idyllisch und beneidenswert sein, die ganze Zeit in einem großen Garten verbringen zu dürfen. Daraus aber eine Geschichte zu machen, kann das gut gehen?
Ein Biopic auf eigenen Wegen
Oh ja! Den Beweis liefert Regisseur und Drehbuchautor Shûichi Okita, der zuvor unter anderem zwei Folgen der Netflix-Serie Hibana inszeniert hat. Hier nimmt er sich des Künstlers an und stellt ihn als einen verschrobenen Einzelgänger dar. Vorkenntnisse braucht es nicht. Man muss nicht einmal wissen, dass es Kumagai wirklich gegeben hat, würde es vielleicht auch gar nicht vermuten. Biografische Angaben fehlen ebenso wie seine Werke, wer lediglich Mori, The Artist’s Habitat als Ausgangspunkt hat, der ist im Anschluss nicht wirklich schlauer geworden. Mit den üblichen Gepflogenheiten von Biopics hat dies natürlich wenig gemeinsam. Weder versucht Okita, seinen Protagonisten als bedeutende Persönlichkeit zu etablieren, noch irgendwelche Dramen aus seinem Werdegang herauszukitzeln.
Aber das muss ja kein Nachteil sein. Was Mori, The Artist’s Habitat an offensichtlicher Relevanz fehlt, das macht der Film durch seinen Unterhaltungsgrad wieder wett. Im Mittelpunkt steht natürlich Kumagai selbst, um ihn dreht sich alles. Was komisch ist, denn das ist genau das, was er verabscheut. Er versteckt sich, wenn andere Menschen kommen, muss sich zu jeder Interaktion überreden lassen, verbringt seine Zeit lieber damit herauszufinden, mit welchem Bein eine Ameise den ersten Schritt macht.
Komische Verzweiflung
Dabei lässt Okita über weite Strecken offen, ob der Maler hierbei nur eine Rolle spielt oder er tatsächlich so weltfremd ist. Nur hin und wieder schimmert durch, dass hinter dieser offensichtlichen Exzentrik ein genau beobachtender Mensch ist, der sehr viel mehr weiß und sieht, als er zugeben möchte. Für das Publikum bedeutet dies so oder so, diverse Anlässe zur Erheiterung zu finden. Vor allem die diversen Besucher, die an den Sonderbarkeiten des Künstlers verzweifeln, bescheren uns komische Momente, irgendwo zwischen Absurdem und Albernem. Tsutomu Yamazaki (Wara no tate – Die Gejagten) als schrulliger Künstler ist ohnehin Gold wert.
Sonderlich viel Handlung hat Mori, The Artist’s Habitat hingegen nicht zu bieten, der etwas mehr als anderthalb Stunden lange Film besteht vornehmlich aus unzusammenhängenden Anekdoten und natürlich vielen Naturaufnahmen. Dass da zwischendurch auch mal ein bisschen Leerlauf ist, liegt in der Natur der Dinge. Wer aber in der Stimmung für einen amüsant-meditativen Ausflug ist, der sollte den Eröffnungsfilm der Nippon Connection 2018 im Auge behalten. Den Künstler in seinem Garten zu besuchen, das bedeutet gleichzeitig, eine sehr eigenwillige und doch auch irgendwo weise Welt kennenzulernen, in der die Zeit stehengeblieben ist und vieles eine andere Bedeutung bekommt.
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