„Noise“, Japan, 2017
Regie: Yusaku Matsumoto; Drehbuch: Yusaku Matsumoto; Musik: Banvox
Darsteller: Kokoro Shinozaki, Urara Anjo, Kosuke Suzuki, Kentaro Kishi, Yuki Kitagawa
Acht Jahre sind seit dem Massaker in Akihabara vergangen, als ein Mann mit seinem Wagen in die Menge fuhr und anschließend auf die Leute einstach. Misa, die damals ihre Mutter verloren hat, kehrt noch immer hierher zurück, tritt als Sängerin aus, um sich an dem Ort der Verstorbenen nah zu fühlen. Und um möglichst weit weg von ihrem Vater zu sein. Auch Rie kann mit ihrem nicht viel anfangen, blockt jeden Annäherungsversuch von ihm ab und geht stattdessen lieber in Spielhallen. Ken hat hierfür keine Zeit. Wenn er nicht gerade Waren ausliefert, versucht er mithilfe von Onlinekursen eine bessere Zukunft für sich zu erarbeiten. Aber auch er hat ein geheimes Hobby, von dem niemand etwas erfahren darf.
Beispiele von Menschen, die bislang völlig unauffällig waren und nun plötzlich wahllos andere angreifen oder gar töten, die finden sich mittlerweile in praktisch jedem Land. Was aber verleitet jemanden dazu, etwas Derartiges zu tun? Regisseur und Drehbuchautor Yusaku Matsumoto nähert sich in seinem Debüt dieser Frage an, spricht auch über eine Familie, die durch eine solche Tragödie zerstört wurde. Noise ist dabei jedoch weniger eine Auseinandersetzung mit dem realen Vorfall, der sich 2008 in Tokio zugetragen hat, sondern beschäftigt sich allgemein mit Leuten, die den Halt verlieren.
Viele Wege führen in die Verwirrung
Zielstrebig geht er nicht gerade dabei vor. Während die drei Hauptstränge vereinzelt Berührungspunkte haben, so verlaufen sie doch weitestgehend unabhängig voneinander. Es dauert auch eine Weile, bis man als Zuschauer überhaupt versteht, was genau da vor sich geht und wer die Leute sind, denen wir zuschauen. Hinzu kommt, dass Misa und Rie sich ähnlich sehen – was kein Zufall ist, wird darauf doch Bezug genommen. Das alles führt dazu, dass der Einstieg erst einmal etwas verwirrend ist, eine großstädtische Geräuschkulisse, aus der es erst noch die einzelnen Töne herauszuhören gilt.
Das ist gleichzeitig auch die Stärke des Dramas, welches Ende Mai im Rahmen des Japan-Filmfests Hamburg und der Nippon Connection in Frankfurt am Main gezeigt wird. Es versucht gar nicht, zu sehr etwas erklären zu wollen, für das es keine eindeutige Antwort gibt. Außergewöhnliche Tragödien und alltägliche Entfremdung gehen hier Hand in Hand, verschwimmen zu einer Gesellschaft, in der das Zwischenmenschliche verlorengeht. Einiges davon ist auf Vernachlässigung zurückzuführen, sowohl Misa wie auch Ken leiden unter ihren alleinerziehenden Eltern. Unter einer Gewalt, die mal körperlich, mal auch nur seelisch sein kann.
Wärme gegen Bares
Noise ist ein trauriger Film, in dem Versuche der Annäherung entweder brutal abgeblockt oder ausgenutzt werden. Die Auftritte von Misas Underground Idol Gruppe beispielsweise enden damit, dass gemeinsame Fotos verkauft werden, die mit süßen kleinen Herzsymbolen versehen sind. Matsumoto spricht dabei gleichzeitig die Sehnsucht der Menschen nach Wärme und Aufmerksamkeit in einer entfremdeten Gesellschaft, aber auch den zynischen Handel damit an. Lächeln, ein bisschen Freundlichkeit, nette Worte – die gibt es nur gegen Bares und im Rahmen einer Traumwelt, in der die Menschen falsche Namen tragen, jemand anderes zu sein vorgeben, als sie sind.
Hoffnungsschimmer gibt es dabei keine, höchstens ein bisschen Selbstbetrug. Und eben auch keine Auflösung. Die Gewalt, die sich in Noise immer wieder andeutet, wird nie so richtig erklärt. Nie verraten, was dagegen zu tun ist. Ob überhaupt etwas getan werden kann. Noise stolpert weiter durch die Nacht, die düsteren Straßen von Tokio, schreit und flüstert, schlägt wild um sich, nur um am Ende dann doch wieder allein zu sein. Einen auch allein zu lassen, während das nächste Messer am anderen Ende der Leitung darauf wartet, zum Einsatz zu kommen. Hypnotisch und traurig, um eine Zukunft kämpfend, für die es in der eigenen Wut keinen Platz mehr gibt.
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