„Manhunt“, China/Hongkong, 2017
Regie: John Woo; Drehbuch: John Woo; Vorlage: Juko Nishimura; Musik: Tarô Iwashiro
Darsteller: Hanyu Zhang, Masaharu Fukuyama, Ji-won Ha, Angeles Woo, Jun Kunimura, Nanami Sakuraba
Seit Jahren schon arbeitet Qiu Du (Hanyu Zhang) für das japanische Pharmazieunternehmen Tenjin Pharmaceuticals, hat für dieses viele Fälle gewonnen. Doch das soll nun vorbei sein, eine neue Aufgabe in den USA erwartet den chinesischen Anwalt. So dachte er. Bis er nach einer Firmenfeier aufwacht und eine tote Frau neben sich entdeckt. Die Polizei ist sofort zur Stelle, nur mit Mühe kann er dieser noch entkommen. Aber was nun? Wie soll er seine Unschuld beweisen? Zumal die Zeit drängt: Ihm sind nicht nur die Polizisten Satoshi Yamura (Masaharu Fukuyama) und Rika Hyakuta (Nanami Sakuraba) auf den Fersen, sondern auch die beiden Auftragskillerinnen Rain (Ji-won Ha) und Dawn (Angeles Woo).
Zurück zu seinen Wurzeln wollte John Woo wieder. Nachdem sich der legendäre Hongkong-Action-Regisseur eine Zeit lang in Hollywood herumtrieb (Mission: Impossible II, Face/Off) und zuletzt mit sündhaft teuren Produktionen wie The Crossing baden ging, sollten es wieder einfachere Filme werden, konzentrierter, mit einer kleineren Crew. Also drehte er Notwehr, eine Adaption des Romans Kimi yo Fundo no Kawa o Watare von Juko Nishimura. Dass diese noch teurer wurde als seine letzten Filme und die Zahl der Figuren unüberschaubar groß ist, lässt sich mit seinen ursprünglichen Absichten zwar kaum in Einklang bringen. Aber so etwas wie Sinn sollte hier ohnehin niemand erwarten.
Am Anfang ist noch alles normal
Die Ausgangssituation ist klassisches Genrematerial: Ein Mann wird zu Unrecht einer Straftat beschuldigt, kann auf keinen fairen Prozess hoffen und muss deshalb auf eigene Faust seine Unschuld beweisen. So weit, so gut. Auch dass sein Weg den eines Polizisten kreuzt, der anfangs auf ihn Jagd macht, nur um später mit ihm gemeinsam der Sache auf den Grund gehen zu wollen, gehört zum Standard. Hätte Notwehr nur aus diesen beiden Elementen bestanden, veredelt mit den gewohnt furiosen Actionsequenzen von Woo, der Film wäre vermutlich wenig bemerkenswerte, aber gut konsumierbare Thrillerkost gewesen. Nur ist an der Stelle noch lange nicht Schluss, was die Netflix-Produktion zu einer – je nach eigener Geschmackslage – grandios grotesken oder kaum erträglichen Angelegenheit macht.
Da wäre zum einen die verwirrend hohe Anzahl an Figuren, die bei der Geschichte mitmischen und oft mit tragischen Schicksalen verbunden sind. Yamura selbst leidet noch immer unter dem Tod seiner Frau. Rika ist eine junge Kollegin, die keiner ernst nimmt. Rain und Dawn sind ehemalige Waisenkinder, die zu Killern ausgebildet wurden und dabei auch mit ihren Gefühlen kämpfen. Dann ist da noch eine weitere mysteriöse Frau, die in der Sache drinsteckt. Von den ganzen Leuten bei Tenjin Pharmaceuticals, angeführt von Yoshihiro Sakai Qiu (Jun Kunimura). Ach ja, und dann sind da noch die dubiosen Außenseiter, mit denen sich Qiu Du auf der Flucht anfreundet, ohne viel dafür tun zu müssen.
Ich spreche, wie ich will, nicht wie ich kann
Letztere sprechen übrigens manchmal auf Japanisch – der Film spielt ja in Japan –, manchmal auf Chinesisch. Wann die eine Sprache gewählt wird, wann die andere, das erfolgt dem Zufallsprinzip. Gleiches gilt für die restlichen Figuren, die sich nie für eine Form der Kommunikation entscheiden wollen, manchmal dann auch gleich zum Englischen übergehen. Ein solches Sprachenwirrwarr kann reizvoll sein, wenn es einem tatsächlichen Konzept folgt. Wie die Geschichte auch, die mit der Zeit immer absurder wird, wurde hier aber auf jede Form von Logik verzichtet. Und auf jede Natürlichkeit: Die englischsprachigen Dialoge sind sowohl in Hinsicht Aussprache wie auch Inhalt ohne jeglichen Bezug zu einer realen Welt.
Das passt dann natürlich einerseits gut zu den charakteristischen Woo-Actionszenen, die sich noch nie wirklich um Realismus oder physikalische Gesetze kümmerten. Die sind dann auch der Höhepunkt: Der gebürtige Chinese mag inzwischen schon die 70 Jahre überschritten haben, sein Auge für knallig-überzogene Bilder und die Leidenschaft für enthemmte Kämpfe hat er nicht verloren. Notwehr, welches letztes Jahr auf den Filmfestspielen von Venedig seine Weltpremiere feierte, ist für diese Einlagen durchaus sehenswert. Sie sind nur leider nicht so oft und nicht annähernd so atemberaubend wie der geballte Blödsinn, der einen dazwischen erwartet. Nun liegen bei einem Actionthriller die Prioritäten normalerweise nicht bei Geschichte und Figuren. Hier aber stechen sie durch die vielen bizarren Bestandteile derart stark hervor, dass sie die Höhepunkte komplett überlagern und der Film allenfalls Trashfans richtig Spaß machen wird.
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