„Rimetti a noi i nostri debiti“, Albanien/Italien/Polen/Schweiz, 2018
Regie: Antonio Morabito; Drehbuch: Antonio Morabito, Amedeo Pagani
Darsteller: Claudio Santamaria, Marco Giallini, Flonja Kodheli
Früher, da arbeitete Guido (Claudio Santamaria) mal als Ingenieur. Aber das ist lange her. Ein Nebenjob in einem Lager, mehr ist ihm nicht geblieben. Und nicht einmal der hat gehalten, nach einem kleinen Zwischenfall steht er plötzlich ohne alles da, von gewaltigen Schulden einmal abgesehen. Das wiederum macht ihn für Franco (Marco Giallini) interessant, der sich darauf spezialisiert hat, Geld von hoffnungslosen Fällen einzutreiben. Skrupel hat er keine, dafür jede Menge Ideen, wie er aus anderen Kapital schlägt. Guido hat dabei Glück im Unglück, er soll in Zukunft selbst bei den Schuldeneintreibern arbeiten. Doch so schön es ist, Geld zu verdienen und die eigenen Schulden abarbeiten zu können, die harschen Methoden fordern ihm einiges ab.
Der Zeitpunkt könnte kaum günstiger sein – oder auch ironischer. Gerade als Italien es schafft, nach einer ewigen Hängepartie eine Regierung zu bilden, die von Europa dann auch gleich einmal Schuldenerlass fordert, veröffentlicht Netflix ein italienisches Drama. Das Thema: die Überschuldung der italienischen Gesellschaft und die vergeblichen Versuche, das Geld zurückzubekommen. Um europäische Politik geht es in Vergib uns unsere Schuld jedoch nicht, auch wenn sich ein längeres Gespräch zwischen Guido und einem befreundeten Professor darum dreht – über Bande.
Die Kraft der Schulden
Stattdessen kreist der Film um zwei größere Themen. Das eine ist Guido selbst. Der ist zunächst nicht übermäßig auffällig. Nett, ja, freundlich, etwas unscheinbar jedoch und ohne größere Durchsetzungskraft. Ob dies nun seinem Naturell geschuldet ist oder seiner unglücklichen Situation, das sei mal dahingestellt. Im Laufe seiner Tätigkeit als Schuldeneintreiber verändert er sich jedoch. Die Arbeit, die in erster Linie daraus besteht, Schuldner zu finden, zu bedrängen und zu demütigen, die geht an ihm nicht spurlos vorüber. Vergib uns unsere Schuld erzählt davon, wie sich eigene Moralvorstellungen durch äußere Bedingungen ändern können, ohne dass man es merkt.
Grundsätzlich ist das nachvollziehbar dargestellt. Dass jemand, der am Boden ist, beginnt andere zu treten, um sich selbst zu retten, das ist kein sehr weit hergeholter Gedanke. Nur hat es Regisseur und Co-Autor Antonio Morabito hierbei etwas eilig. Da wäre vielleicht die eine oder andere Szene nicht verkehrt gewesen, die Guido in einem moralischen Zwiespalt zeigt. Die gibt es zwar, folgen aber keinem erkennbaren Muster. Im einen Moment hat er kein Problem damit, anderen Gewalt zuzufügen, im nächsten dann doch. Eindrucksvoll sind die Szenen aber schon meistens, gerade auch eine, die Guidos Bekannte Rina (Flonja Kodheli) betrifft.
Querschnitt durch eine Verlierer-Gesellschaft
Das interessante der beiden Themen handelt ohnehin nicht von Guido. Auch nicht von Franco, der bis zum Schluss der schmierige Aasgeier bleibt und nur selten von seiner Bahn abweicht. Es betrifft die Menschen, denen die beiden tagtäglich begegnen. Da sind alte Menschen und junge dabei, Männer und Frauen, Anzugträger und Nobodys, Sympathieträger und Scheusale. Auch die Gründe für die Verschuldung könnten unterschiedlicher nicht sein, haben mit Statussymbolen zu tun, mit Schicksalsschlägen. Manchmal auch mit dem Versagen der Gesellschaft. Sie alle werden wir kennenlernen, einige Minuten, mal ist alles vorbei, bevor es angefangen hat.
Vergib uns unsere Schuld, das anfangs noch eine Krimirichtung andeutet, wird so schnell zu einem Drama, das einem eine ganze Menge zumutet. Das in seinem Zynismus und der Unbarmherzigkeit, mit der die Schuldner verfolgt werden, an einigen Stellen schockiert. Gleichzeitig ist es aber eben auch das Porträt eines Landes, in dem immer mehr zu Verlierern werden, für die es keine Netze mehr zu geben scheint. Menschen nur noch in Euro-Ziffern bemessen werden. So ganz kann sich Morabito zwar nicht dazu durchringen, diesen Querschnitt durch die Gesellschaft auch zu vertiefen. An anderer Stelle wird er hingegen unnötig explizit, schreckt auch vor leichtem Pathos nicht zurück. Trotz dieser Fehler: Es ist ein Film, der nahe geht und einen nicht unbedingt frohen Mutes in die Zukunft blicken lässt.
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