„The Sense Of An Ending“, UK, 2017
Regie: Ritesh Batra; Drehbuch: Nick Payne; Vorlage: Julian Barnes; Musik: Max Richter
Darsteller: Jim Broadbent, Charlotte Rampling, Billy Howle, Freya Mavor, Harriet Walter
An seine Jugend denkt Tony Webster (Jim Broadbent) eigentlich eher selten zurück. Warum auch? Er ist ein alter Mann, der ein erfülltes Leben hatte. Doch dann wird er von der Vergangenheit eingeholt, als er das Tagebuch seines besten Freundes aus der Jugendzeit erbt. Oder es zumindest erben soll. Denn ausgerechnet seine Ex-Freundin Veronica (Freya Mavor) verweigert ihm dieses Andenken, will ihm das Tagebuch unter keinen Umständen aushändigen. Während Tony nun erbittert um sein Recht kämpft, kehren seine Gedanken wieder an früher zurück. An den Anfang seiner Geschichte, als er als junger Mann (Billy Howle) der schönen Veronica (Freya Mavor) per Zufall über den Weg lief und sich sofort in sie verliebte.
Diverse Male war Julian Barnes zuvor für den Man Booker Prize nominiert gewesen, einen der wichtigsten englischsprachigen Literaturpreise, bis es dann 2011 mit Vom Ende einer Geschichte dann endlich klappte. Ob es nun ausgerechnet der elfte Roman sein muss, für den er den Preis erhielt, darüber ließe sich streiten. Manch einer wird die Meinung vertreten, dass das Buch eher stellvertretend für das exzellente Gesamtwerk des Engländers gewürdigt, eine späte und überfällige Anerkennung.
Die Fallstricke eines Erzählers
Sonderlich viel Gehalt hatte der Roman nämlich nicht, zumindest wenn es um die Handlung geht. Die erste Hälfte des Buches erzählt von Tonys Jugend, die zweite, deutlich längere von der Gegenwart. Dabei wird einiges der ersten Hälfte erst später erklärt, wenn die Erinnerungen des gealterten Mannes nach und nach um Fakten ergänzt werden. Einiges von dem, was wir vorher zu wissen glaubten, nun in einem anderen Licht erscheinen. Denn Vom Ende einer Geschichte lebte von seinem Erzähler, dem wir ausgeliefert waren. Der uns praktisch alles erzählen konnte, ohne dass wir dies überprüfen können.
Als Filmvariante funktioniert das so direkt natürlich nicht, weshalb einiges im Vergleich zur Vorlage geändert wurde. Vom Ende einer Geschichte behält zwar die Zweiteilung bei, verflechtet diese aber direkt miteinander. Die Gegenwart wird immer wieder von der Vergangenheit unterbrochen, meist weil Tony seiner Ex-Frau Margaret (Harriet Walter) davon erzählt. Auch hierbei entstehen Neubewertungen alter Geschichten, müssen Tony wie auch das Publikum sicher geglaubte Wahrheiten noch einmal in Frage stellen. Durch den anfänglichen Fokus auf das Tagebuch wirkt das Drama teilweise jedoch wie ein Krimi. Das unerklärliche Verhalten Veronicas wird dadurch zum Anlass für eine Spurensuche zurück in die Vergangenheit.
Weniger subtil, aber unterhaltsam
Das ist dann nicht ganz so subtil wie in dem Buch, das Medium Sprache ist nun einmal nicht immer in Bilder zu übersetzen. Unterhaltsam ist der Beitrag vom Filmfest München 2017 aber durchaus. Das ist in erster Linie Jim Broadbent (Le Weekend, Paddington 2) zu verdanken, der hier eine ganz eigene Mischung aus kauzigem Charme und selbstsüchtigem Mistkerl an den Tag legt. Einer, der so wahnsinnig viel kaputt macht, im eigenen Leben, in dem von anderen, es dabei noch nicht einmal merkt. Der dabei durch und durch britisch ist. Eine komische Figur, eine tragische, eine über die man sich auch mal tierisch aufregen kann. Aber auch der Rest des Ensembles kann sich mehr als sehen lassen.
Die Wendungen, welche die Geschichte nimmt, die war in der Vorlage schon etwas übertrieben. Im Film ist das dann noch einmal verstärkt, verursacht auch durch den stärkeren Fokus auf die Handlung. Vom Ende einer Geschichte hat sich aber auch diverse Vorzüge bewahren können, gerade im Hinblick auf nachdenklichere Themen. Der Titel verrät bereits, dass es hier um Aufarbeitung geht, um Erinnerungen, um Konstruktion wie Dekonstruktion einer Lebensgeschichte. Wer bin ich eigentlich gewesen? Was hat mich geprägt? Aber auch: Welchen Unterschied habe ich für andere gemacht? Das ist oft nicht so einfach zu beantworten, selbst für Leute mit weniger großen Scheuklappen als Tony, mit einem weniger selektiven Gedächtnis. Und so entlässt einen dieses Drama mit etwas Wehmut in die Nacht, aber auch mit Denkanstößen und einer kleinen Sensibilisierung dafür, doch einmal innenzuhalten, sich und andere einmal genau anzuschauen, um anschließend die Geschichte vielleicht ein klein wenig anders zu schreiben.
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