„13 Novembre“, Frankreich, 2018
Regie: Jules Naudet, Gédéon Naudet
Die WM steht vor der Tür, einen Monat lang kämpfen dann wieder die (vermeintlich) besten Fußballmannschaften um den begehrten Pokal. Hiesige Fans werden sich natürlich vor allem an die letzten beiden Auftritte Deutschlands erinnern: die legendäre Klatsche von Gastgeber Brasilien und das dramatische Finale gegen Argentinien. Vielleicht wird der eine oder andere aber auch ein Länderspiel verinnerlicht haben, das rund anderthalb Jahre später stattfand. Wie in der WM standen sich Deutschland und Frankreich gegenüber, diesmal in Paris. Ein lauter Knall zwar zu hören, später ein zweiter. Und auch wenn es eine Weile dauerte, bis bekannt gegeben wurde, was dahinter steckte, auf dem gemütlichen Sofa war es längst irgendwie ungemütlich geworden, während das Unterbewusstsein kontinuierlich wiederholte: Da stimmt etwas nicht.
Es stimmte eine Menge nicht an jenem Abend des 13. November 2015. Eine ganze Reihe aufeinander abgestimmte Terroranschläge erschütterten die französische Hauptstadt. 130 Menschen starben in dieser Nacht, mehrere Hundert wurden verletzt, zum Teil schwer. In ihrer Netflix-Dokumentation 13. November: Angriff auf Paris gehen Jules und Gédéon Naudet auf Spurensuche. Was geschah damals eigentlich? Wie haben die Leute diese Stunden erlebt? Während wir zwar von dem groben Ablauf erfuhren und den schockierenden Ergebnissen, dürften die wenigsten einen Einblick haben, was das im Einzelfall bedeutete.
Der persönliche Zugang zu einer Tragödie
Die beiden französischen Brüder sind für eine solche Dokumentation prädestiniert, schließlich erlangten sie weltweite Bekanntheit durch ihren Film über den Anschlag am 11. September 2001 in New York. Nun durften sie ihr Heimatland während der schweren Stunden begleiten. Anders als seinerzeit in den USA waren sie dieses Mal aber nicht live dabei. Aufnahmen der Schießereien in mehreren Cafés und der Geiselnahme in dem Bataclan-Theater, wo gerade ein Konzert stattfand, sind rar. Also wählten die zwei einen etwas anderen Weg, um ihre Geschichte zu erzählen.
Auf wenn hin und wieder mal ein Handyvideo zu sehen ist oder Telefonaufzeichnen zu hören sind, ein Großteil der dreiteiligen Serie besteht aus Interviews. Optisch ist das weniger spannend, trotz einer regelmäßig eingeblendeten Karte des Bataclan hält sich die Abwechslung in Grenzen. Und doch ist 13. November: Angriff auf Paris überaus packend und mitreißend, mehr als es einem manchmal lieb ist. Vereinzelt bauen die Naudets Aussagen hinein, die in einem beruflichen Zusammenhang stehen – Feuerwehrleute, der ehemalige Präsident Hollande. Ansonsten aber überlassen sie in erster Linie den Menschen das Wort, die nur zufällig mit der Sache zu tun haben. Weil sie zur falschen Zeit am falschen Ort waren.
Intim, fesselnd, manchmal repetitiv
Anders als etwa Evil Genius, eine weitere kürzlich veröffentlichte True-Crime-Dokuserie von Netflix, stehen hier die Opfer im Mittelpunkt. Die Täter selbst sind nicht zu sehen, nicht zu hören. Wir erfahren nichts über sie oder deren Hintergründe. Sie bleiben anonyme Männer, die das Leben von so vielen beendet oder verändert haben. Schwer bewaffnete Phantome. An ihrer Stelle dürfen sich die Betroffenen das Leid von der Seele reden. Für manche sind diese Interviews sicher auch eine Form der Aufarbeitung, was 13. November: Angriff auf Paris manchmal etwas unangenehm Voyeuristisches verleiht. Steht es uns wirklich zu, diese intimen Momente mit ihnen zu teilen? Zu hören, was durch ihre Köpfe ging, als das Leben an ihnen vorbeizog?
Fesselnd sind diese Augenzeugenberichte jedoch. Durch die Natur der Doku sind die Schilderungen sicher manchmal etwas repetitiv. Gerade die zweite Folge, die sich ausschließlich um das Konzert dreht, enthält viele Wiederholungen rund um Leute, die sich versteckten oder totstellten. Gleichzeitig ergänzen sie sich gut, der geschickte Zusammenschnitt führt dazu, dass auch ohne begleitende Liveaufnahmen ein fortlaufender Film im Kopf entsteht, die verschiedenen Perspektiven sich zu einem Gesamtbild zusammensetzen. Die dramatische Musik und die großen Einblendungen der Uhrzeit, die ein Echtzeiterlebnis simulieren, hätte es da gar nicht gebraucht. Die Ansammlung von erschreckenden, absurden und tieftraurigen Momenten und Erinnerungen gehen einem auch ohne diese Spielereien und kleinen Manipulationen durch Mark und Bein.
(Anzeige)