„Gräns“, Dänemark/Schweden, 2018
Regie: Ali Abbasi; Drehbuch: John Ajvide Lindquist, Isabella Eklöf, Ali Abbasi; Vorlage: John Ajvide Lindquist; Musik: Christoffer Berg
Darsteller: Eva Melander, Eero Milonoff
Eigenartig ist die besondere Fähigkeit von Tina (Eva Melander) ja schon, aber auch überaus praktisch. Ihr Geruchssinn ist so ausgeprägt, dass sie nicht nur geschmuggelten Alkohol riechen kann, sondern auch die Gefühle der Menschen. Für ihre Arbeit als Zollbeamtin ist das ideal, da sie auf diese Weise selbst die perfekt versteckten Waren findet. Aber auch ihre Nase ist etwas überfordert, als sie Vore (Eero Milonoff) kennenlernt, der einigen eigenartigen Hobbys nachgeht. Er ist anders, das merkt sie sofort. Anders und doch vertraut: Erstmals in ihrem Leben hat Tina das Gefühl, einen Gleichgesinnten gefunden zu haben, kein Außenseiter mehr zu sein.
Auch wenn Shelley so seine Mängel hatte, sich so sehr in ominösen Andeutungen verirrte, dass dabei die Geschichte vergessen wurde, eines bewies Regisseur Ali Abbasi seinerzeit: In Sachen Atmosphäre macht ihm kaum jemand etwas vor. Ein finsteres Märchen, das sich in undurchsichtigen Nebelschwaden versteckte, das Gefühl von Bedrohung aufbaute, ohne wirklich viel dafür tun zu müssen. Das ist bei seinem zweiten Werk Border, das auf den Filmfestspielen von Cannes mit dem Un Certain Regard Award ausgezeichnet wurde, nicht anders.
Ein alter, unheimlicher Bekannter
Dieses Mal suchte er seine Inspiration nicht bei einem Klassiker der Literaturgeschichte, sondern bei einem relativ neuen Werk. Gewissermaßen. Vorlage bildete eine Kurzgeschichte von John Ajvide Lindqvist, dessen Vampirroman So finster die Nacht auch als gleichnamige Filmversion verzückte. So sehr, dass kurze Zeit später ein US-Remake namens Let Me In folgte. Im Fall von Border dürfte eine Hollywood-Variante, der Auszeichnung zum Trotz, eher unwahrscheinlich sein. Das liegt jedoch weniger an der Qualität als vielmehr an der geringen Massentauglichkeit.
Junge Mädchen, die ihren Weg in der Welt suchen, sind dann doch etwas leichter zu verkaufen als zwei Protagonisten, die so deformiert sind, dass man nicht einmal mehr ihr Alter sehen kann. Die Maske hat an dieser Stelle beeindruckende Arbeit geleistet, versteckt Melander und Milonoff (Der glücklichste Tag im Leben des Olli Mäki) hinter grotesken Prothesen. Aber auch die beiden Darsteller tragen maßgeblich dazu bei, dass der Film zwischen faszinierend und abstoßend changiert. Minimale Zuckungen hier, ein kleines Schnüffeln da – Tina und Vore entblößen eine animalische Seite, eine wilde und enthemmte, die gleichermaßen die Blicke auf sich zieht und die Blicke abwenden lässt.
Auf vielen abwegigen Pfaden unterwegs
Aber es ist auch die Geschichte selbst, die dem Publikum das Leben schwer macht – allein schon, weil Abbasi lange offenlässt, welche Geschichte da überhaupt erzählt wird. Mal ist Border lustig, wenn Tina an Anzugträgern herumschnuppert. Gleichzeitig ist das Schicksal der hässlichen Außenseiterin auch traurig. Oder warmherzig, wenn sie plötzlich jemanden hat. Es gibt einen ausgedehnten Krimifall, der von einem Fund beim Zoll ausgeht. Manchmal spaziert der Film aber auch in Horrorgebieten herum, über den Umweg des Märchens, schert sich wenig darum, was genau er ist, was er tut oder was andere von ihm erwarten.
Das dürfte den einen oder anderen irritieren, verwirrend ist diese Ziellosigkeit selbst für ein experimentierfreudigeres Publikum. Und doch steckt da mehr hinter Border. Was da so zufällig wirkt, so beliebig, hat doch einiges zu erzählen. Der Beitrag vom Filmfest München 2018 führt auf falsche Pfade, nur um dahinter andere zu entdecken. Pfade, die immer weiter ins Dunkle führen, in Abgründe, die unerwartet und vergesslich sind. Dass ein derart kontroverses und unangenehmes Werk tatsächlich für einen deutschen Kinostart eingeplant ist, ist bemerkenswert. Mindestens. Ein bisschen wird es noch dauern, momentan ist von Winter 2018/2019 die Rede. Freunde unheimlicher Grenzerfahrungen dürfen sich aber schon einmal darauf freuen.
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