„Captain Morten and the Spider Queen“, Belgien/Estland/Irland/UK, 2018
Regie: Kaspar Jancis; Drehbuch: Kaspar Jancis, Mike Horelick, Paul Risacher, Robin Lyons; Musik: Pierre Yves Drapeau
Für Morten gibt es ein großes Ziel im Leben: Er will Kapitän eines Schiffes werden, so wie sein Vater! Doch danach sieht es im Moment nicht aus. Die Familie ist hoch verschuldet, immer wieder sieht es danach aus, dass sie die geliebte Salamander verkaufen müssen. Eines Tages scheint sich Mortens Wunsch dennoch zu erfüllen, wenn auch anders als gedacht: Während sein Vater mal wieder auf den Meeren dieser Welt unterwegs ist, lernt er selbst diese aus einer ganz anderen Perspektive neu kennen. Schuld daran ist ein seltsamer Erfinder, der Morten mit seiner Maschine auf Insektengröße schrumpfen lässt. Es ist der Beginn eines großen Abenteuers, bei dem der Junge auf neue Gefährten stößt, aber auch viel Bekanntes. Schrecklich Bekanntes.
Zuletzt durften sich Fans von Stop-Motion-Filmen über eine Reihe schöner Geschenke freuen. Mit Isle of Dogs – Ataris Reise und Early Man – Steinzeit bereit kamen zwei Hochkaräter in die Kinos, weitere Werke von Aardman Animations und Laika sind bereits angekündigt. Vor allem aber sind es kleinere Studios auf der ganzen Welt, welche derzeit die altehrwürdige Animationstechnik aufrecht erhalten, ohne großes Budget, dafür mit viel Liebe zum Detail. Dem norwegischen Louis & Luca – Das große Käserennen war gar eine Kinoauswertung vergönnt, das japanische Sci-Fi-Abenteuer Junk Head und der chilenische Albtraum The Wolf House liefen immerhin auf Festivals.
Gemeinsam sind wir … seltsam
Auf einem eben solchen ist die Tage auch Captain Morten and the Spider Queen zu sehen. Genauer ist es das alljährliche Animationsfilmfest im französischen Annecy, das einen besonders zauberhaften Vertreter seiner Zunft auf das Publikum loslässt. Ein Vertreter, der im besten Geiste europäischen Zusammenhalts in einer Coproduktion von Studios in Estland, Irland, Belgien und UK entstand. Regie führte dabei der Este Kaspar Jancis, der unter anderem auch als Schauspieler und Komponist bekannt ist und der die zuvor in einem Theaterstück und einem Kinderbuch erzählte Geschichte hier zu einem Film ausbaute.
Die Zielgruppe ist auch in der Filmvariante etwas jünger angesetzt. Wie so oft geht es darum, dass ein Kind über sich hinauswachsen muss, in einem Abenteuer großen Mut und Cleverness beweist und dabei lernt, für seine Träume zu kämpfen. Das tut er natürlich nicht allein, Teamgeist sowie familiäre Bande spielen eine große Rolle. Wie sonst sollte man den Gefahren trotzen, die da draußen auf einen warten? Dabei ist es dann auch eher zweitrangig, ob diese Gefahren menschlicher oder tierischer Natur sind, in Captain Morten and the Spider Queen sind diese zwei Welten nicht wirklich voneinander getrennt.
Eine bekannte Welt, mal ganz anders
Der Film erinnert hier dann auch an diverse Spielzeuganimationsfilme – Toy Story und Toys in the Attic – Abenteuer auf dem Dachboden –, in denen eine Miniaturwelt zu Leben erwacht, vermeintlich Bekanntes plötzlich ganz anders ist. Aber auch James und der Riesenpfirsich ist nicht weit entfernt, der Stop-Motion-Technik, der Zielgruppe und der vielen Insekten wegen, die hier plötzlich das Sagen haben. Gemeinsam ist den Werken auch der Hang zum Bizarren. Wenn wir hier mit Morten Abenteuer inmitten von Sechs- und Achtbeinern erleben, dann haben diese mit der realen Insektenwelt nichts zu tun. Stattdessen bevölkern die Kreaturen ihrerseits (Spielzeug-)Schiffe, suchen nach Goldschätzen und haben eine sehr eigenwillige Methode, um begehrte Süßigkeiten zu fabrizieren.
Aus diesem Grund ist Captain Morten and the Spider Queen auch für ein erwachsenes Publikum zumindest einen Blick wert. Während die grundsätzliche Situation um einen Jungen, der Abenteuer erlebt, recht gewöhnlich ist, finden sich so viele absurde bis groteske Einfälle, dass man sich verwundert die Augen reibt. Beispielsweise wird man Pinguine und Grammofone im Anschluss nicht mehr mit denselben Augen sehen. An manchen Stellen wird es auch düster, sehr viel düsterer, als man es aus den meisten Animationsfilmen von heute gewohnt ist. Allerdings war gehört auch das zur reichen Historie von Stop-Motion: Staunen und Fürchten waren hier oft nah beieinander, vor allem bei Filmen aus Osteuropa. Weniger geglückt ist der Hang zur Wiederholung, was angesichts der Laufzeit von unter 80 Minuten nicht notwendig gewesen wäre. Im Gegenzug hätte so manche inhaltliche Spiegelung zwischen der Welt der Insekten und der der Menschen etwas mehr Feinarbeit gebrauchen können. Aber auch so bleibt ein zauberhafter, nostalgischer Geheimtipp, der hoffentlich in der einen oder anderen Form auch noch mal nach Deutschland kommt – verdient hätte er es.
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