„L’Amant Double“, Belgien/Frankreich, 2017
Regie: François Ozon; Drehbuch: François Ozon; Musik: Philippe Rombi
Darsteller: Marine Vacth, Jérémie Renier
Es muss psychosomatisch sein, davon ist Chloé (Marine Vacth) inzwischen überzeugt. Schließlich haben die Ärzte nichts gefunden, was die andauernden Magenschmerzen des 25-jährigen Ex-Models erklären könnte. Nun soll es also der Psychotherapeut Paul (Jérémie Renier) richten. Zunächst sieht es auch gut aus, zum ersten Mal seit Langem fühlt sich Chloé wieder wohl in ihrer Haut. Zu wohl: Als die beiden sich romantisch näherkommen, beendet Paul die Therapie, um den beiden eine richtige Partnerschaft zu ermöglichen. Doch diese droht zu scheitern, als sich herausstellt, dass Paul einen Zwillingsbruder namens Louis (ebenfalls Jérémie Renier) hat, den er bislang völlig verschwiegen hat und der sich grundlegend von seinem Bruder unterscheidet. So grundlegend, dass sich Chloé plötzlich zu beiden hingezogen fühlt.
Was haben eine Vagina und ein Auge miteinander gemeinsam? Auf den ersten Blick nicht viel. Auf den zweiten hingegen schon, zumindest wenn der Blick François Ozon gehört. Denn mit einer bildlichen Verknüpfung von beidem beginnt das neueste Werk des französischen Filmemachers. Dass er gern mal ein bisschen genauer hinschaut, wenn es um zwischenmenschliche Akte geht, das hat er ja schon des Öfteren bewiesen – von seinem Debüt Sitcom über Swimming Pool bis hin zu Jung und schön. Mit Letzterem Film teilt sich Der andere Liebhaber nicht nur die Hauptdarstellerin, sondern eine Vorliebe für nackte Haut.
Das Auge isst mit
In vielerlei Hinsicht ist Ozons Thriller sehr voyeuristisch geworden. Nicht nur, dass die beiden Hauptdarsteller regelmäßig zur Sache gehen, mal in der einen Rolle, dann in der anderen, das Beobachten ist fester Bestandteil der Geschichte. Dass die beiden Brüder beispielsweise als Psychotherapeuten arbeiten und als solche in die tiefsten Abgründe von Chloé schauen, das ist natürlich kein Zufall. Oder wenn sich eine Katze ins Schlafzimmer verirrt, wenn das Paar seiner Lieblingsbeschäftigung nachgeht.
Zufällig ist an Der andere Liebhaber ohnehin nichts. Viel zu sehr ist der Regisseur und Drehbuchautor in seine kunstvolle Zuschaustellung verliebt, als dass er dies auch nur in Betracht ziehen würde. Die Dopplung, die im Mittelpunkt der Geschichte steht – in Person der beiden grundverschiedenen Zwillinge –, die spiegelt sich auch im Drumherum wieder. Wortwörtlich, Spiegel gehören zu der Grundausstattung der Wohnungen. Dazu gibt es symmetrische Anordnungen, auch das Spiel mit Perspektiven macht sich einen Spaß daraus, zu doppeln, zu enthüllen und doch auch zu verbergen.
Das kann doch nicht wahr sein!
Es dauert ein bisschen, bis sich Der andere Liebhaber dazu entschließt, mal mit offenen Karten zu spielen. Zuvor spielt der Film, der an vielen Stellen an Hitchcock erinnert, vor allem mit der Neugierde – und der Geduld. Suspekt sind einem die beiden Zwillinge ja, in ihrer Verschwiegenheit, der Geheimnistuerei, in ihrem Gegensatz auch. So suspekt, dass man sich nie so ganz zu einer Antwort durchringen kann: Sind die zwei wirklich echt? Spielen sie ein Spiel mit Chloé? Gibt es überhaupt zwei Brüder oder handelt es sich um eine gespaltene Persönlichkeit?
Die Antwort auf diese Fragen wird nicht jeden überzeugen, gerade auch angesichts des gemächlichen Tempos. Das soll nicht bedeuten, dass Ozon hier nichts zu bieten hätte. Das hat er durchaus. Je weiter die Geschichte voranschreitet, umso verworrener wird sie, umso absurder gar. Das kann Spaß machen, wenn man sich darauf einlässt, auf die Lust am Maßlosen, zumal das Ganze auch schick bebildert ist. Sonderlich raffiniert ist Der andere Liebhaber jedoch nicht, das eine eigenartige Mischung aus Groschenroman und Arthaus darstellt.
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