Feuer im Kopf
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Feuer im Kopf

„Brain on Fire“, Irland/Kanada/USA, 2016
Regie: Gerard Barrett; Drehbuch: Gerard Barrett; Vorlage: Susannah Cahalan; Musik: John Paesano
Darsteller: Chloë Grace Moretz, Thomas Mann, Richard Armitage, Carrie-Anne Moss

Feuer im Kopf
„Feuer im Kopf“ ist seit 22. Juni 2018 auf Netflix verfügbar

Auf den ersten Blick scheint für Susannah (Chloë Grace Moretz) alles nach Plan zu verlaufen. Sie startet gerade als Journalistin bei der New York Post durch, ist glücklich mit dem Musiker Stephen (Thomas Mann) liiert, auch das Verhältnis zu ihren Eltern (Richard Armitage, Carrie-Anne Moss) ist prima. Doch irgendetwas stimmt nicht mit ihr. Immer wieder bildet sie sich Sachen ein, leidet unter Stimmungsschwankungen, hat auch geistige Aussetzer. Während die einen Ärzte überhaupt keine Diagnose wagen und andere darin eine rein psychische Erkrankung sehen, nimmt Susannahs Krankheit immer schrecklichere Ausmaße an – bis die Eltern selbst auf die Suche nach einem Spezialisten gehen.

Netflix und Filmfeste, das ist ja so eine Sache. Während der Streit zwischen den Amerikanern und den französischen Traditionalisten hinter den Filmfestspielen in Cannes dieses Jahr die Schlagzeilen beherrscht, geht der Streamingdienst ganz gern mal bei solchen Veranstaltungen auf Shopping Tour. Verkehrt ist das nicht, wurden auf diese Weise feine Dramen wie Mudbound oder Sunday’s Illness einem größeren Publikum zugängig gemacht. Einem Publikum auch, das sich vielleicht nicht unbedingt bei Filmfesten aufhält.

Was lange währt …
Warum Netflix auf dem Toronto International Film Festival 2016 ausgerechnet die Rechte an Feuer im Kopf gesichert hat, das leuchtet jedoch nicht ganz ein. Gut möglich, dass man sich angesichts der erfolgreichen Vorlage – das Drama basiert auf Susannah Cahalans gleichnamigen Memoiren, die zum Bestseller avancierten – auf entsprechende Mitnahmeeffekte hoffte. Doch schon damals wurde der Film nicht unbedingt in den Himmel gelobt, zudem ließ man sich 21 Monate Zeit, bis das Werk dann auch tatsächlich veröffentlicht wurde.

Besser ist Feuer im Kopf seither nicht geworden. Die Aussage des Films, die ist natürlich noch immer aktuell und auch wichtig. Susannah schilderte in ihrem Buch, wie sie in Folge einer sehr selten Krankheit immer stärker die Kontrolle über sich verlor. Sie berichtet vor allem aber auch, wie ratlos, wie sorglos die Ärzte mit ihr umgingen. Es ist das alte Lied von den Gesundheitsgöttern, die sich nicht die Zeit nehmen, nicht das Interesse haben, vielleicht auch einfach nicht die notwendigen Fachkenntnisse. Sowohl Buch wie auch Film sind damit gleichzeitig Plädoyer, dass etwas genauer hingeschaut wird, wenn Patienten über ihr Leid klagen.

Das plakative Leid
Wobei, das mit dem genaueren Hinschauen liegt dem Film selbst nicht besonders. Eigentlich ist es sogar überaus plakativ, was hier geboten wird. Feuer im Kopf ist die Geschichte einer jungen Frau, die an einer mysteriösen Krankheit leidet. Das Drama konzentriert sich dabei aber fast ausschließlich auf die Symptome. Ein Großteil der anderthalb Stunden besteht allein darin, dass Chloë Grace Moretz (Die 5. Welle, Kick-Ass) mal mit leerem Gesichtsausdruck, dann wieder wild schimpfend durch die Gegend läuft, angetrieben von Wut und Paranoia. So etwas kann natürlich sehr sehenswert sein, lädt es Schauspieler doch dazu ein, aus sich herauszugehen, Grenzen zu überschreiten.

Bei Feuer im Kopf läuft das aber zu schematisch ab, um wirklich zu beeindrucken. Anders als etwa Eleanor & Colette dieses Jahr, in dem Helena Bonham Carter in ihrer Paraderolle der ausufernden Exzentrikerin glänzte, sind die Ausfälle hier höchstens nervig, anstrengend, auf Dauer auch langweilig. Es fehlt zudem der Bezug zu der jungen Leidenden. Natürlich ist es tragisch, wenn ein junger Mensch derart in sich verlorengeht. Für das Publikum geht dabei jedoch wenig verloren, dafür ist Susannah zu sehr eine Fremde. Regisseur und Drehbuchautor Gerard Barrett, der mit Glassland eine sehr sehenswerte Charakterstudie drehte, nimmt sich hier nicht die nötige Zeit, um sie als Persönlichkeit zu etablieren, bevor das Elend beginnt. Auch das Drumherum bleibt blass. Um die mangelnde Tiefe und echte Emotionalität auszugleichen, wird dafür lieber anderweitig dick aufgetragen, mit Overacting, dramatischer Musik, ein bisschen Kitsch, Betroffenheitskino aus der Konserve. Schade um das Thema, das doch deutlich mehr verdient hätte.



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In „Feuer im Kopf“ leidet eine junge Frau an einer seltenen Krankheit, wird von den Ärzten zu wenig beachtet oder auch missverstanden. Das auf einer wahren Geschichte beruhende Drama hätte dabei eine Menge zu erzählen, begnügt sich aber mit dick aufgetragenem Betroffenheitskino, dem sowohl Abwechslung wie Tiefgang mangelt.
4
von 10