„Hannah“, Belgien/Frankreich/Italien, 2017
Regie: Andrea Pallaoro; Drehbuch: Andrea Pallaoro, Orlando Tirado; Musik: Michelino Bisceglia
Darsteller: Charlotte Rampling
Irgendwann steht Charlotte Rampling einfach so da, starrt auf das Tier. Auf den Wal, der gestrandet ist, regungslos da liegt, unfähig sich zu bewegen, während eine andere Frau mit ein bisschen Wasser versucht, das Leiden zu lindern. Oder zu verlängern. Gesprochen wird während der Szene kein Wort, so wie in Hannah allgemein nur selten gesprochen wird. Das Publikum, das Rampling zu dem Zeitpunkt bereits über eine Stunde begleitet hat, braucht hier aber auch keine Worte. Warum die Titelfigur so fasziniert ist von dem unglücklichen Wesen, das erschließt sich von selbst, ist sie doch auf eine ganz ähnliche Weise im Leben gestrandet. Ist noch da, auch wenn sie nicht genau weiß warum.
Das mag dem einen oder anderen im Publikum aus dem Herzen sprechen. Denn eines zumindest ist klar: Regisseur und Co-Autor Andrea Pallaoro macht es einem nicht einfach. Ob er seine Protagonistin in banalen Alltagssituationen zeigt oder auch an den wichtigen Wendepunkten, der italienische Filmemacher bleibt sehr auf Distanz. Er verrät nur selten, was in Hannah vor sich geht, wovon die Geschichte da eigentlich erzählt. Es liegt an den Zuschauern, die vielen Szenen einzusammeln, wie in einem Puzzlestück zusammenzusetzen, überhaupt zu erkennen, welche davon nun von Bedeutung sind, welche nebensächlich.
Die Suche nach dem Sinn
Wenn Hannahs Mann, dessen Namen wir nicht einmal erfahren, zu Beginn des Films Sachen packt und mit ihr im Auto sitzt, könnte das alles mögliche bedeuten. Was genau dahintersteckt, wird erst später verraten, der entscheidende Schlüssel zu der Situation von Hannah, den finden wir recht beiläufig – in mehrere Teile gebrochen. Und selbst dann behält es sich Pallaoro vor, sie nicht zu deutlich zu zeigen. Wer hier nicht aufpasst, nach den vorangegangen (Nicht-)Ereignissen die Gedanken schweifen lässt, der könnte am Ende völlig ratlos dastehen, verpasst haben, worum es die ganze Zeit eigentlich ging.
Der Beitrag vom Filmfest München 2018 ist ein Film über eine Frau, deren Leben auseinanderbricht. Die sich an banalen Abläufen festkrallt, weil ihr nicht viel anderes geblieben ist. Dann und wann sehen wir Hannah in einer Theatergruppe, wie sie proben, vorsprechen, Techniken ausprobieren. Ob sie auf ein tatsächliches Theaterstück hinarbeiten oder einfach nur die Zeit totschlagen, bleibt dabei offen. Gesprochen wird nicht. Nicht über die gemeinsame Aktivität. Nicht über den Rest. Wer Hannah als Mensch ist, das bleibt über weite Strecken ein Rätsel.
Arthaus-Kino für Festivalgänger
Hannah ist daher eines dieser typischen Filmfestdramen, denen es in erster Linie um Kunstfertigkeit und Ausdruck geht, nicht um Beliebtheit beim größeren Publikum. Dabei wäre das hier eigentlich einfach gewesen: Wenn erst einmal alle Puzzleteile beisammen sind, ergibt dies das Bild eines sehr traurigen Schicksals. Eines, das sich leicht hätte ausschlachten können, um zumindest streckenweise ein paar Tränen aus den Zuschauern und Zuschauerinnen zu pressen. Dass Pallaoro dies nicht tut, nur selten die Fassade der Protagonistin aufbricht, macht seinen Film recht unnahbar, streckenweise vielleicht sogar langweilig, aber am Ende eben doch auch lohnenswert.
Wobei dies weniger mit der spartanischen Geschichte zusammenhängt als vielmehr Charlotte Rampling (45 Years), die in dem französischsprachigen Film wieder einmal glänzen darf. Ihr nuanciertes Spiel, fast frei von helfenden Dialogen, zeigt eine Frau, die versucht, ihre Würde zu behalten. Ihr Leben zusammenzuhalten, selbst dann, wenn nichts mehr davon übrig ist. Dafür wurde sie bei den Filmfestspielen von Venedig, wo Hannah 2017 Weltpremiere feierte, mit dem Preis für die beste Darstellerin ausgezeichnet. Distanziert, unterkühlt gar, wie es die britische Veteranin meisterhaft beherrscht, fesselt die Britin auch dann, wenn sie gerade eigentlich gar nichts macht.
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