Sundays Illness
© Netflix

Sunday’s Illness

„La Enfermedad Del Domingo“, Spanien, 2018
Regie: Ramón Salazar; Drehbuch: Ramón Salazar; Musik: Nico Casal
DarstellerBárbara Lennie, Susi Sánchez

Sundays Illness
„Sunday’s Illness“ ist seit 15. Juni 2018 auf Netflix verfügbar

Der Schock ist groß, als Anabel (Susi Sánchez) realisiert, wen sie da vor sich hat. Denn eigentlich hatte sie mit ihrer Vergangenheit abgeschlossen. Als Unternehmerin ist sie erfolgreich, bestens in der High Society integriert, dazu glücklich verheiratet und Mutter. Da taucht Chiara (Bárbara Lennie) auf, ihr erstes Kind. Mehr als 30 Jahre sind vergangen, seit sie es und ihren Vater verlassen hat, von einem Tag zum nächsten. Gerade einmal acht Jahre war ihre Tochter damals. Doch nun ist sie da, taucht plötzlich auf, mit einer ungewöhnlichen Bitte: Sie will noch einmal zehn Tage mit ihrer Mutter verbringen. Anabel lässt sich darauf ein und reist mit ihr in ein abgelegenes Haus in den Bergen – ohne zu ahnen, worauf sie sich da einlässt.

Das Szenario von Sunday’s Illness lässt eigentlich auf einen Psychothriller schließen: eine verlassene Tochter, der Schauplatz fernab der Zivilisation, so fernab, dass keine Handys funktionieren, die tragische Vorgeschichte, eine mysteriöse Bitte. Düster ist der Film auch, wortwörtlich sogar: Der Ausflug in das französische Hinterland beschenkt uns nicht mit idyllischen Postkartenmotiven aus der Natur. Hier ist alles irgendwie gräulich, kalt, voller Schlamm und Dreck. Wenn Anabel in die Welt ihrer Tochter eintaucht, dann bedeutet das, Hände und Kleidung schmutzig zu machen.

Die Nähe in der weiten Einöde
Aber es bedeutet eben auch, sich dem eigenen Schmutz zu stellen. Eigenen Abgründen. Der spanische Regisseur und Drehbuchautor Ramón Salazar nutzt den abgelegenen Schauplatz dafür, das sich vollkommen unbekannte Mutter-Tochter-Gespann langsam annähern zu lassen. Zum Teil, weil es gewollt ist, mal mehr, mal weniger. Zum Teil, weil ihnen gar nichts anderes übrig bleibt. Nur selten lassen sich in dem Film andere Menschen blicken, die Möglichkeiten des sozialen Austauschs sind in der Einöde beschränkt. Auch wenn die Gegend an und für sich weitläufig ist, so sind die zwei doch aneinandergekettet – ideale Voraussetzungen, um schmutzige Wäsche zu waschen.

Sunday’s Illness, das auf der Berlinale 2018 Premiere feierte und nun auch auf Netflix verfügbar ist, lässt sich dabei aber relativ viel Zeit. Knapp zwei Stunden ist das Drama lang. Zwei Stunden, die erstaunlich frei sind von Konfrontationen und wildem Geschrei. Anabel wird auch in einem der selten Telefonate mit ihrem Ehemann sagen, wie eigenartig das Zusammenleben ist. Chiara ist oft mit ihrer Arbeit auf dem Land beschäftigt, beachtet ihre Mutter kaum. Eine ganze Weile leben sie zwei so zusammen, ohne wirklich zusammen zu sein, halten sich lediglich am selben Ort auf, ohne dass es zu einem Austausch kommt.

Langsam, spröde, sehenswert
Für das Massenpublikum ist das buchstäblich leise Drama über Annäherung und Distanz, Isolation und Selbstsuche daher weniger geeignet. Von der tendenziell auf Berieselung schielenden Netflix-Kundschaft ganz zu schweigen. Lohnenswert ist Sunday’s Illness aber zweifelsfrei, zumindest für die, die sich auf diese Art Film einlassen können. Rau, spröde, sehr langsam, eher mit Bildern als mit Worten arbeitend. Hin und wieder wird man mit kleinen Momenten des Glücks belohnt, wenn die entfremdeten Frauen einen Weg zueinander finden. Aber es lässt sich auch genauso oft Ablehnung, Wut auf den Gesichtern der beiden Darstellerinnen lesen, manchmal auch nur Verwirrung und Überforderung.

Worum es bei der ganzen Geschichte geht, das dürften die Zuschauer – anders als die planlose Anabel – recht früh ahnen. Aber selbst dann werden die wenigsten wirklich vorbereitet sein auf das, was sie hier erwartet. Denn zumindest zum Schluss gibt Salazar doch noch dem Bedürfnis nach, alles etwas aufzubauschen – dramatischer Musik inklusive. Das ist nur zum Teil wirklich nachvollziehbar, so wie auch die Annäherung der zwei Frauen bei aller Langsamkeit etwas sprunghaft vonstattengeht. Die wunderbaren Aufnahmen und die überzeugenden Leistungen der beiden Darstellerinnen helfen aber über so manche holprige Stelle hinweg.



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Wenn eine Frau und ihre Tochter, die sich mehr als 30 Jahre nicht gesehen haben, zehn Tage in der Einöde verbringen, kann eine ganze Menge passieren. Nicht in „Sunday’s Illness“. Das spanische Drama gefällt sich in seinem Minimalismus, spricht mehr über Bilder und Mimik als durch tatsächliche Worte. Die eine oder andere holprige Stelle gibt es, die bewusst rau und spröde inszenierte Geschichte einer späten Annäherung ist dennoch sehenswert.
7
von 10