The Looming Storm

The Looming Storm

„Bao xue jiang zhi“, China, 2017
Regie: Yue Dong; Drehbuch: Yue Dong; Musik: Ke Ding
Darsteller: Yihong Duan, Wei Zheng, Yiyan Jiang

The Looming Storm
„The Looming Storm“ läuft im Rahmen des 36. Filmfests München (28. Juni bis 7. Juli 2018)

Vier Frauen sind es inzwischen schon, die tot aufgefunden wurden, alle auf dieselbe Art und Weise ermordet. Der Täter muss immer derselbe sein, davon ist die Polizei überzeugt. Doch wer genau das sein könnte, das weiß sie nicht. Interessiert sie auch nicht so wirklich. Yu Guowei (Yihong Duan) dafür umso mehr. Der wurde ein Jahr zuvor in seiner Fabrik ausgezeichnet. Von einer Handvoll kleinerer Diebstähle abgesehen hat der Chef des Sicherheitsdienstes aber nur wenig zu tun. Also beginnen er und sein Gehilfe Xiao Liu (Wei Zheng), auf eigene Faust zu ermitteln und den Mörder schnappen zu wollen. Tatsächlich entdecken sie schon bald vielversprechende Spuren, in deren Mittelpunkt ein geheimnisvoller Mann in einer Regenjacke steckt.

Ein Sturm zieht auf in China, so zumindest impliziert es der Titel des Films. Eigentlich ist er aber längst schon da. Wortwörtlich. Noch bevor die Suche nach dem Täter zu irgendwelchen Ergebnissen führt, eine Erkenntnis ist schon da: Das Reich der Mitte bietet sich nicht für einen Urlaub an, dafür ist das Wetter viel zu schlecht. Kaum eine Szene vergeht hier, in der es nicht nieselt, regnet, schüttet. In der die beiden Protagonisten nicht durch schlammige Gegenden stapfen, während der Himmel und die Fabrik darum wetteifern, wer weniger Farbe hat. Kleinere bunte Tupfer finden sich zwischendurch mal. Ein bisschen rot. Ansonsten aber dominiert hier eine Mischung aus Grau und Braun, die keinen Mörder mehr braucht, um jegliche Lebenskraft zu entziehen.

Schicke Bilder, ambitionierter Inhalt
Keine Frage: Stylisch ist The Looming Storm. Sehr sogar. Ein echtes Wunder ist das nicht, Regisseur und Drehbuchautor Yue Dong ist eigentlich gelernter Kameramann. Und diese Kunst setzt er auch bei seinem Spielfilmdebüt sehr gewinnbringend ein. Denn wenn dem chinesischen Filmemacher eines gelingt, dann ist es, mit überholten Konzepten zum Film noir aufzuräumen. Man muss nicht zwangsweise Jahrzehnte in die Vergangenheit reisen und alles in Schwarzweiß drehen, um eine unheimliche bis trostlose Atmosphäre zu erzeugen. Ein Ausflug zu einer chinesischen Fabrik reicht völlig aus.

Aber auch inhaltlich hat Dong jede Menge Ambitionen. Erzählerisch fällt sein The Looming Storm beispielsweise durch die verschiedenen Zeitebenen auf. Der Film beginnt damit, dass Yu Guowei im Jahr 2008 seinen Namen buchstabiert. Danach gibt es einen Ausflug zehn Jahre zurück, wo er erst seine Auszeichnung in Empfang nehmen darf, bevor es auf Mörderjagd geht. Wie die erste Szene mit der Haupthandlung zusammenhängt, das erfahren wir relativ spät. So wie einige Punkte erst mit der Zeit an Klarheit gewinnen – oder umgekehrt jede Klarheit einbüßen, wenn einiges nicht das ist, wonach es aussieht.

Ein Niemand im Umbruch
Da wäre beispielsweise die obligatorische Prostituierte mit dem guten Herz. Hier heißt sie Yanzi (Jiang Yiyun), hat inzwischen ein Nagelstudio eröffnet und träumt von einer gemeinsamen Zukunft mit Yu. Aber wie das mit den Träumen so ist, gerade solchen, die inmitten eines grauen Trümmerhaufens entstehen, sie bleiben oft Träume. Yue Dong, der hierfür bei den Asian Film Awards 2018 mit dem Preis für den besten Nachwuchsregisseur ausgezeichnet wurde, beschäftigt sich allgemein sehr viel mit seinen Figuren. So wie er sich auch mit seinem Land beschäftigt, das 1997 im Umbruch war: Hongkong wurde an China zurückgegeben, alte Staatsunternehmen mangels Rentabilität aufgegeben und verschrottet.

Es ist dann auch eher dieser gesellschaftliche Aspekt, gekoppelt an das interessante Bild eines Möchtegerndetektivs, der The Looming Storm auszeichnet. Als reiner Krimi ist der Beitrag vom Filmfest München 2018 hingegen weniger gut geeignet. Viel Zeit lässt sich Dong für seine Ermittlungen. Ermittlungen, die noch nicht einmal wirklich viel Konkretes zu Tage fördern. Ein paar kleinere Verfolgungsjagden lockern das Geschehen auf. Ansonsten ist die Mischung aus Krimi und Drama aber sehr ruhig, sehr genügsam auch, was die Zahl der Verdächtigen angeht. Ein klassischer Whodunnit à la Agatha Christie ist das hier nicht, dafür sind die Figuren größtenteils zu flüchtig. Zu unbedeutend. Yu ist es, um den sich alles dreht, der alles an sich reißt, im Guten wie im Schlechten. Aus den Schriftzeichen für unnötige Überbleibsel, glorreich und Nation setzt sich sein Name zusammen, wie er anfangs erklärt. Stellvertretend für viele andere ist die Suche nach einem Mörder daher auch die Suche nach einem Sinn, einer Funktion. Etwas das bleibt in den vergessenen Ruinen, die nur noch den Regen kennen.



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Die Polizei ist ratlos, also nutzt der Sicherheitschef einer Fabrik die Gelegenheit, einen Serienmörder zu jagen. Das ist eigentlich klassisches Krimimaterial. Trotz diverser Noir-Anleihen ist das fantastisch bebilderte „The Looming Storm“ aber eher ein Film über ein China im Wandel und die Menschen, die während dieses Wandels verlorengehen, der viel zu erzählen und zeigen hat, obwohl recht wenig Konkretes passiert.
7
von 10