„Time Trial“, UK, 2017
Regie: Finlay Pretsell; Musik: Dan Deacon
Einmal die Tour de France fahren, das berühmteste und geschichtsträchtigste Radrennen der Welt – das war der Jugendtraum des schottischen Radprofis David Millar. Mit 15 bekam er sein eigenes Bike, mit 20 wird er Teil des französischen Profiteams Cofidis. Drei Jahre später gewann er bei der Frankreich-Rundfahrt seine erste Etappe, schlüpfte in das gelbe Trikot des Gesamtführenden. Großbritannien jubelte, ein neuer Hoffnungsträger am Radsporthimmel war geboren. Doch 2004 folgte die Ernüchterung: Millar wurde positiv auf Doping getestet und für zwei Jahre gesperrt. Aber er kehrte zurück, in den Radsportzirkus und in das Fahrerfeld.
Die Dokumentation Time Trial begleitet ihn bei seiner letzten Saison als Radrennfahrer, bevor er 2014 seine Karriere beendet. Und bei dem Versuch, sich zum 13. Mal für eine Teilnahme an der Tour, seiner großen Liebe und Leidenschaft, zu qualifizieren. Praktischerweise war der Regisseur Finlay Pretsell einst selbst professioneller Radrennfahrer und kommt – was für ein Zufall – wie Millar aus Schottland. Sein Ziel: Einen Film zu kreieren, der den Zuschauer mit auf das Rad nimmt, ihm mittels spezieller Kameratechniken und -perspektiven das Animalische dieser Sportart vermittelt, die wahnwitzige Geschwindigkeit in den Kurven und das Gedränge im Fahrerfeld. Die Höhen, aber auch die Tiefen des Radsports.
Authentischer Blick auf den Radsport
Und das gelingt ihm. Der Film ist pur, unaufgesetzt, echt. Geradezu unspektakulär. Aber vielleicht genau deshalb so authentisch. Vor allem in den banalen Momenten: Den Gesprächen im Peloton. Dem Versuch, trotz zu großer Handschuhe den Reißverschluss der Regenjacke zuzuziehen. Der vergessenen Wasserflasche. Eben die Realität eines Radprofis fernab des Glamours.
Man schwankt zwischen der Lust, selbst durch die teils sehr malerischen Landschaften zu radeln und den Zweifeln an der Sinnhaftigkeit des Ganzen an sich. Man fragt sich unwillkürlich, warum sich Millar das harte Training und die langen Tage auf dem Rad in seinem Alter überhaupt noch antut. Warum er es nicht einfach gut sein lässt. Aber zu groß ist sein Traum, noch ein letztes Mal die Tour de France zu fahren. Vielleicht aber auch die Angst vor dem, was danach kommt. Wenn er kein Radsportler mehr ist, was ist er dann?
Müde und spannend zugleich
Pretsell zeichnet in seinem Film das Bild eines alternden Athleten, dessen letztes Profijahr angebrochen ist. Millar kämpft mit Selbstzweifeln, hadert mit sich und seinen Leistungen. Und spricht von Reue in Bezug auf den Dopingskandal. Nach seiner Rückkehr in den Radsport schwang er sich als selbsternannter Hoffnungsträger für einen sauberen Radrennsport auf, aber aus seinen Worten spricht bald Skepsis, ob das überhaupt möglich ist. Ob sich jemals genug ändern wird, um einen sauberen Sport zu garantieren. Statt kämpferisch wirkt Millar müde. Erschöpft vom zehrenden Training, von den langen Tagen auf dem Rad, von den immer wieder gleichen Fragen zu seiner Dopingvergangenheit und von seinen eigenen Antworten, die er gebetsmühlenartig wiederholt.
Dennoch ist Pretsell ein Film gelungen, der nachdenklich stimmt. Und der trotz geringem Spannungsbogen abwechslungsreich bleibt. Durch die Kameraführung und die Einblicke in das Rennfahrerdasein, ohne dabei zu oft auf die klassischen Szenen einer Radsportübertragung zurückzugreifen. Der Beitrag vom DOK.fest München 2018 verdeutlicht, was einem der Radsport geben kann, aber eben auch abverlangt. Was man benötigt, um so einen Sport auszuüben. Mut, Entschlossenheit, Zielstrebigkeit und Willenskraft. Wie im echten Leben. Und ist daher nicht nur für Radsportfans empfehlenswert.
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