„Tito e os Pássaros“, Brasilien, 2018
Regie: Gabriel Bitar, André Catoto, Gustavo Steinberg; Drehbuch: Gustavo Steinberg, Eduardo Benaim; Musik: Gustavo Kurlat, Ruben Feffer
Lange hat der 10-jährige Tito seinen Vater schon nicht mehr gesehen. Drei Jahre sind es genau, seitdem der nach einem missglückten Experiment seine Sachen packte und davon ging. Darüber hinweg ist Tito bis heute nicht. Im Gegenteil er eifert seinem Vater noch immer nach, indem er versucht, dessen Experiment zu Ende zu bringen: eine Maschine, um sich mit Vögeln unterhalten zu können. Die meisten sehen darin nicht viel mehr als eine harmlose Spinnerei. Doch als eine seltsame Epidemie um sich greift, die im Falle von Furcht ein enormes Anwachsen der Augen und Bewegungslosigkeit verursacht, ist es Tito, auf dem alle Hoffnungen ruhen. Denn die Antwort auf diese Krankheit liegt in den Arbeiten seines Vaters verborgen – und in dem Gesang der Vögel.
Beim Thema Animation stehen die USA ja, zumindest was den Bekanntheitsgrad angeht, unangefochten auf der Nummer eins. Eine größere Fangemeine können natürlich auch japanische Zeichentrickfilme und -serien für sich verbuchen. Selbst Europa kann den einen oder anderen Hit landen, zumal gerade Frankreich ganz gerne auch mal anspruchsvollere Beispiele der Animationskunst zeigt. Südamerika dürften hingegen nur wenige auf dem Schirm haben. Was sehr schade ist, wie zwei sehr außergewöhnliche Filme in den letzten Monaten zeigte: das kolumbianische Schwarzweiß-Familiendrama Virus Tropical, der surreale Stop-Motion-Albtraum The Wolf House aus Chile.
Ganz alltäglich und doch ziemlich seltsam
Auch Tito and the Birds kann sich an dieser Stelle einreihen und stolz den südlichen Kontinent repräsentieren. Dieses Mal reisen wir nach Brasilien bzw. ins französische Annecy, wo der Film im Rahmen des traditionsreichen Animationsfestivals im Juni 2018 seine Weltpremiere feierte. Wirklich brasilianisch erscheint der Film auf Anhieb nicht, dass er aus Südamerika kommt erkennt man hier nur an den Namen und der Sprache. Austauschbar ist er jedoch genauso wenig, denn was zunächst wie ein übliches Kinderabenteuer wirkt, ist am Ende deutlich spannender – und seltsamer.
Schon die Vorstellung, dass jemand sein Leben darauf ausrichtet, mit Vögeln plaudern zu können, ist nicht unbedingt dem Alltag entnommen. Doch je länger der Film dauert, umso eigenartiger wird er. Das Grundgerüst bleibt zwar sehr universell: Ein junger Protagonist muss erst allein, später mit Freunden und auch ein wenig tierischer Unterstützung die Welt retten. Auch die Suche nach dem verschwundenen Vater, dessen Forschungen sehr viel klüger und nützlicher waren, als es sein Umfeld glaubte, ist ein beliebtes Storyelement. Aber der Verlauf der Geschichte, der nimmt dann doch einige unerwartete Wege.
Unterwegs in einem schrägen Gemälde
Die teils recht surreale Anmutung des Films macht ihn auch für ein erwachsenes Publikum interessant, gerade im Zusammenhang mit der ungewöhnlichen Optik. Die Figuren sind sehr einfach gehalten, mit riesigen Köpfen, weit auseinanderstehenden Augen und kleinen Mündern, die so gar nicht dem vorherrschenden Animationsmodell entsprechen. Die Hintergründe sind stilisiert, oft eigenartig schräg, mit Farbe auf Glas gemalt. Das erinnert etwas an Kollegen wie Loving Vincent und The Old Man and the Sea, nur dass das hier eben nicht realistisch aussehen soll. Verzerrt, auf düstere Farben vertrauend, geradezu unheimlich ist die Welt, durch die Tito streift, auf der Suche nach seinem Vater und einer Heilung.
Gleichzeitig ist die Aussage von Tito and the Birds sehr einfach und kindgerecht: überwinde deine Angst! Auch das gehört natürlich zum Grundstock vieler Animationsfilme, der junge Held muss über sich hinauswachsen und Mut fassen. Aber das geschieht hier eben auf eine andere Weise. Auf eine sehr schöne Weise, die zu Herzen geht, absolut aktuell ist und dabei originell umgesetzt. Dass der Ablauf manchmal recht willkürlich ist und man gar nicht so genau sagen kann, wie eine Szene zur nächsten führt, das schmälert den Eindruck ein wenig, das Drehbuch hätte gern noch ein wenig kompakter sein dürfen. In der Flut ewig gleicher Animationsfilme für Kinder ist dieser jedoch eine kleine Wohltat, dem zu wünschen wäre, dass er auch außerhalb des Festivals sein Publikum findet.
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