WUNDER
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Wunder

„Wonder“, USA, 2017
Regie: Stephen Chbosky; Drehbuch: Stephen Chbosky, Steve Conrad, Jack Thorne; Vorlage: Raquel J. Palacio; Musik: Marcelo Zarvos
Darsteller: Jacob Tremblay, Izabela Vidovic, Julia Roberts, Owen Wilson

Wunder DVD
„Wunder“ ist seit 28. Mai 2018 auf DVD und Blu-ray erhältlich

Einfach normal sein! Unentdeckt durch die Menschenmengen gleiten, ohne eine Schneise aus bemitleidenden Blicken oder gar vor Angst zurückschreckenden Leute hinter sich zu lassen. Der kleine August Pullman (Jacob Tremblay) kam mit einem entstellten Gesicht zur Welt. Dutzende Gesichtsoperationen später hat sich an der Tatsache nichts geändert, dass er immer anders sein wird. „Auggie“, wie er liebevoll von seiner Familie genannt wird, wurde bislang von seiner Mutter zu Hause unterrichtet. Jetzt steht sein erster Tag in einer echten Schule bevor. Mit echten Gleichaltrigen, echten Freunden und Feinden – eine für ihn völlig neue Welt. Er muss lernen, mit seinen Ängsten umzugehen und sich ihnen teilweise zu stellen. Ausgerüstet mit seinem Astronautenhelm, macht er sich auf in sein erstes Solo-Abenteuer.

Ein Wunder! Der Begriff ist heutzutage aus der zerknüllten Floskelbiografie jedes Filmproduzenten nicht mehr wegzudenken. In einer Zeit, in der jeder etwas Besonderes sein will, jeder die schmachtenden Blicke seiner Mitmenschen sucht und auf die eigenen Minuten im vielumkämpften Scheinwerferlicht hofft, ist ein Junge, der einfach normal sein möchte, eine willkommende Abwechslung. Die Geschichte beruht auf dem gleichnamigen Bestseller von Raquel J. Palacio aus dem Jahr 2012.

Eine Familie hält zusammen
Auggie lebt mit seiner Schwester Via (Izabela Vidovic) und seinen Eltern Isabel (Julia Roberts) und Nate (Owen Wilson)  in Upper Manhatten, wo sie ihr intimes Familienglück genießen. Eine Familie, die nach außen hin wie der wahr gewordene Traum eines jeden Kleinkindes wirkt. Die große Schwester, die einen dort auffängt, wofür die Eltern blind sind; der Kind gebliebene Vater, der einem Mut in Zeiten der Angst zuspricht, und die fürsorgliche Mutter, deren Liebe Berge versetzen kann. Ein fragiles Konstrukt der perfekten Harmonie, das durch Auggies ersten Schultag erste Risse erhält. Die Anspannung macht sich bemerkbar und vermehrt sich mit jedem weiteren Tag. Wie erwartet, wird er zum großen Fragezeichen auf dem Schulhof und im Klassenraum. Warum sieht er so aus? Ein Freak! Kinder können grausam sein, wobei es oft an der Kompetenz der herumstehenden Erwachsenen mangelt, die es eigentlich besser wissen müssten.

Ein Blick über den Tellerrand
Die Geschichte ist wahrlich überschaubar. Auggie wird wie vorherzusehen zum Außenseiter und von den meisten seiner Mitschüler gemieden, lernt aber auch jene kennen, die hinter sein ungewöhnliches Äußeres blicken und den eigentlichen Witzbold entdecken. Es folgt ein tägliches Auf und Ab der Emotionen, bei dem er immer im Augenmerk des Geschehens zu sein scheint. Hier unterscheidet sich der Film von der Konkurrenz und versucht durch Kapitel individuellen Charakteren Tiefe einzuhauchen. Besonders interessant ist Vias Ansicht der Dinge, die seit seiner Geburt nur noch die zweite Geige spielt und sich damit abgefunden hat. Mit ihren Problemen will sie ihre Eltern nicht belasten, die mit den Herausforderungen ihres kleinen Bruders ohnehin schon genug um die Ohren haben.

Zuckersüß, aber langweilig
Dabei bleibt es dann aber auch. Weitere Kapitel mit Auggies Schulfreund Jack Will oder Vias Freundin Miranda wirken deplatziert und plastisch. Von einer charakterlichen Hintergrundgeschichte kaum eine Spur. Verschenktes Potential für eine an sich originelle Erweiterung der Ereignisse. Es folgen Handgemenge in der Schule, überzogene Gefühlsausbrüche und ein theatralisches Ende, mit extra viel Pathos. An allen Ecken und Enden trieft der überzogene Handlungsstrang den maroden Geduldsfaden entlang. Wirklich böse sein kann und will man dem kleinen Träumer aber nicht, der durch seine erfrischende Art den Zuschauer schnell für sich gewinnt.

Eine inszenierte Mondlandung
Wunder ist ein Film über Mut und Freundschaft, Liebe und Familie, über Anderssein und Andersbleiben. Auggie ist das beste Beispiel dafür, dass man Menschen nicht nach ihrem Äußeren beurteilt. Seine farbenfrohe Fantasie erfüllt die Erzählung mit liebevollen Metaphern und kindlicher Unschuld. Ein schüchterner Junge, der allmählich seine eigene Stimme entdeckt und die Menschen um ihn herum in seinen Bann zieht. Leider ist die Upperclass Familie im Herzen Manhattens etwas zu unnahbar, die aufklärende Aufteilung in Kapitel verkommt zu leeren Versprechungen und der eigentlichen Handlung vom mürben Schulalltag ist man ohne originellen Ansatz seit Jahren überdrüssig. Viele Situationen wirken zu inszeniert, um am Ende Kurs auf das glorreiche Happy End zu halten.



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Ein kleiner Junge, der so vielen von uns aus dem Kinderherzen unserer Schultage spricht. Zuckersüß, aber berechenbar, wabert der gesamte Film vor sich hin. Handlung und Drehbuch lassen zu wünschen übrig, während stilistische Akzente und liebevolle Charaktere den Film vor der sich langsam anschleichenden Müdigkeit retten.
6
von 10