„Nafas“, Iran, 2016
Regie: Narges Abyar; Drehbuch: Narges Abyar; Musik: Massoud Sekhhavatdoost
Darsteller: Sareh Nour Mousavi, Pantea Panahiha, Mehran Ahmadi
Bahar (Sareh Nour Mousavi) ist acht Jahre alt und wächst Ende der 70er gemeinsam mit ihren drei Geschwistern unter der Obhut ihres verwitweten Vaters (Mehran Ahmadi) und ihrer Großmutter (Pantea Panahi Ha) im Norden Irans in der Nähe von Teheran auf. Bis vor Kurzem lebte die Familie noch in Yazd, doch der Vater leidet an schwerem Asthma, weshalb sie in eine kühlere Gegend ziehen musste. Bahar liebt Geschichten und verliert sich oft in Büchern oder den fantasievollen Erzählungen ihres Vaters. Doch so sehr sie es sich auch wünscht, kann sie sich der Realität, in der das Land von Revolution und Kriegsbeginn erschüttert wird, nicht gänzlich entziehen.
Krieg durch Kinderaugen
Die iranische Autorin und Regisseurin Narges Abyar, die als Kinderbuchautorin und Dokumentarfilmerin tätig war, wirft in ihrem dritten Spielfilm einen realistischen und ungewöhnlichen Blick auf ein Land und seine Bevölkerung in der Krise. Als weibliche Regisseurin schenkt sie dem Genre des Kriegsdramas gemeinsam mit der Hauptdarstellerin Sareh Nour Mousavi, die als kleine Bahar ihr Schauspieldebüt feiert, eine willkommene, weibliche Perspektive. Nafas war damals der iranische Kandidat, der für den Oscar für den besten fremdsprachigen Film ins Rennen ging, nachdem er bereits mit dem Preis für die beste Regie sowohl auf den Tallinn Black Nights als auch auf dem Vancouver Women in Film Festival ausgezeichnet wurde.
Die Geschichte wird von Bahar in ihren eigenen Worten mit leicht heiserer, manchmal atemloser Stimme erzählt. Das lässt den Zuschauer sofort in die (abgewetzten) Schuhe des Mädchens schlüpfen und die Welt durch ihre Augen betrachten. Bahars Mutter ist verstorben, weshalb sie mit ihrem kranken Vater, ihrer Großmutter und ihren drei Geschwistern in einem zerfallenen Haus in erschreckender Armut lebt.
Dabei versteht das Mädchen nicht wirklich, was um sie herum passiert. Während ihre Heimat im Verlauf des Films mehr und mehr verfällt, Menschen verschwinden, Bomben fallen, sind ihre größten Ängste, von ihrer unbestreitbar zanksüchtigen und fiesen Stiefoma mit der Rute gejagt zu werden und ihren geliebten Vater an sein Asthma zu verlieren.
Das Grauen, das um sie herum in Form von Revolution und dem Beginn des Iran-Irakischen Krieges geschieht, ihre Sorgen und Zweifel verarbeitet sie in ihrer Fantasie. Der Film übersetzt Bahars Innenleben in fantastische und symbolbeladene Kurzgeschichten, die in simplistisch, kindlich anmutender, gleichzeitig visuell beeindruckender Animation dargestellt werden. Die realistische und nüchterne Repräsentation der schrecklichen Umstände wird immer wieder durch die Trickfilm-Episoden unterbrochen, wodurch die Narration aufgelockert, vertieft und ausgeschmückt wird.
Roter Faden?
Trotz des originellen Stils hat Nafas einige offensichtliche und schwerwiegende Probleme. Einerseits folgt das Drehbuch auf keine Weise den Regeln einer klassischen Narration, sondern erzählt die Ereignisse in einzelnen Episoden. An sich wäre das kein Grund zu negativer Kritik, doch in dem Beitrag vom Iranischen Filmfestival München 2018 wird diese Art des Erzählens weder vorgestellt, noch besteht in der Abfolge und Beschaffenheit der Kapitel Synchronität oder Harmonie. Das sorgt für allgemeine und andauernde Verwirrung. Zeitsprünge kann man nur erahnen, Konstellation und Bedeutung der Charaktere werden kaum bis gar nicht geklärt und die Relevanz der Gezeigten ist schwer zu deuten. Der Ansatz eines roten Fadens, wie einige wenige Orientierungspunkte werden zwar gegeben, doch durch die Ausarbeitung unnötiger Details wird immer wieder vom Kern abgelenkt, so dass es großer Konzentration und zum Teil eines hohen Maßes an Interpretations- und Zuerdichtungskunst bedarf, um dem Film folgen zu können. Die vielen überflüssigen Momente sorgen für eine überzogene Spieldauer und, vor allem in der ersten Hälfte, für Langeweile. Die Handlung nimmt in der zweiten Hälfte zwar an Fahrt auf, doch kann die Inkonsequenz im Ablauf nie ganz überwinden. Schließlich endet das Finale wortwörtlich mit einem lauten Knall, der einerseits realitätsnah und erschütternd, andererseits emotional überzogen und kitschig ist.
Ein letzter, vielleicht kleinlicher, dennoch verstörender Punkt, ist die andauernde, skrupellose Gewalt gegen Kinder. Hier wird ein Mädchen auf den Mund gehauen, da wird ein anderes geschubst und auf dem Boden liegend getreten. Und dann gibt es natürlich noch die stets mit einer schnalzenden Rute bewaffnete Großmutter. Für ein westliches Publikum mag dieser Akt der Erziehung mehr als fragwürdig sein; vor allem dann, wenn die Reaktionen der Kinderdarsteller so schockiert und authentisch sind, dass man beginnt, an der Fiktionalität der Darstellung zu zweifeln.
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