„Brimstone“, Belgien/Deutschland/Frankreich/Niederlande/Schweden/UK, 2016
Regie: Martin Koolhoven; Drehbuch: Martin Koolhoven; Musik: Tom Holkenborg
Darsteller: Dakota Fanning, Guy Pearce
Ende des 19. Jahrhunderts führt Liz (Dakota Fanning) ein ruhiges, zurückgezogenes Leben als Geburtshelferin. Doch dann überschlagen sich eines Tages die Ereignisse. Erst muss sie bei einer schweren Geburt zwischen dem Leben der Mutter und dem des ungeborenen Kindes entscheiden. Und dann taucht auch noch ein mysteriöser, mit Narben versehener Priester (Guy Pearce) auf. Der führt nur Finsteres im Schilde, davon ist Liz überzeugt. Glauben schenken will ihr niemand. Doch sie weiß es besser, schließlich hängt die Geschichte mit ihrer eigenen zusammen. Einer Geschichte, die sie selbst längst meinte, hinter sich gelassen zu haben.
Unterschiedlicher hätten die Reaktionen auf Brimstone wohl kaum sein können. Als der Western 2016 bei den Filmfestspielen von Venedig Premiere feierte, war er umjubelt. Auch im restlichen Europa wurde die Geschichte um eine junge Frau, die von ihrer Vergangenheit eingeholt wird, von der Presse gefeiert. Ganz anders in den USA, wo die Meinungen sehr viel kritischer ausfielen, auch viele Verrisse dabei waren. Möglich, dass dies mit den pechschwarzen Abgründen zusammenhängt, die sich hier auftuen. Während Demontagen des uramerikanischen Filmgenres inzwischen selbst eine Institution sind, so böse wie hier wird es nur selten.
Viel Not, keine Helden
Es mangelt dem Film auch an einem echten Helden, so wie es bei Western einst üblich war. Nicht einmal ein gebrochener Held ist hier zu finden. Stattdessen steht hier eine Frau im Mittelpunkt. Auch das hat es zuletzt häufiger mal in dem Genre gegeben. Sweetwater – Rache ist süß mit January Jones zum Beispiel oder auch Jane Got a Gun, wo Natalie Portman die Hauptrolle spielte. In The Homesman stehen sogar gleich mehrere Frauen im Mittelpunkt. Wo dort aber praktisch von Anfang an die Damen bewiesen, dass sie ihre Männer stehen und große Gewehre schwingen können, da ist Liz eher eine Damsel in Distress. Eine Damsel jedoch, der niemand zur Hilfe eilt.
Ungewöhnlich ist auch die Erzählstruktur von Brimstone. Der niederländische Regisseur und Drehbuchautor Martin Koolhoven, der hier sein englischsprachiges Debüt abgibt, entschied sich gegen eine gewöhnliche Chronologie. Während das erste und das letzte der vier Kapitel in der Gegenwart spielen, befassen sich die anderen beiden mit der Vorgeschichte. Jedes Mal taucht Liz darin auf, scheint dabei aber eine andere Person zu sein. Schauplätze, Charakter, Umstände – mit jedem Kapitel heißt es zum Anfang. Erst spät wird klar, wie das alles zusammenhängt. Wie Liz in die anfängliche Situation geraten konnte. Was es mit dem Priester auf sich hat.
Ein Albtraum in Schwarz
Er ist dann auch gewissermaßen der Dreh- und Angelpunkt des Films. Während Dakota Fanning (Die Einkreisung) eine durchaus engagierte Performance zeigt, ihre Figur ist über weite Strecken doch zu sehr getrieben, um wirklich viel Aufmerksamkeit an sich zu reißen. Ganz anders der priesterliche Gegenspieler. Er wirkt schon zu Beginn unheimlich, ein religiöser Fanatiker am Rande des Wahnsinns. Doch erst wenn wir mehr über ihn erfahren, über seinen vorangegangenen Weg, wird das ganze Ausmaß der Hölle offensichtlich: Befeuert von einem genüsslich abscheulich auftretenden Guy Pearce (The Road, The Rover) wird der namenlose Mann in Schwarz zu einer der furchterregendsten, verstörendsten Figuren jenseits fantastischer Horrorfilme.
Koolhoven mutet einem dabei jede Menge zu, auch weil er sich viel Zeit lässt. Fasst zweieinhalb Stunden ist Brimstone lang. Doch trotz des gemächlichen Tempos, langweilig ist der Film nicht. Nach und nach baut sich hier eine Atmosphäre auf, die rätselhaft und bedrohlich gleichermaßen ist. Dass in den dunklen Bildern eine Katastrophe wartet, lauert, es ist kaum zu übersehen. Auch wenn man nichts sieht. Und wenn der Western dann mal die Daumenschrauben ansetzt, die kleinen Puzzleteile sich zu einem Bild des Horrors zusammensetzen, dann ist er spannender als die meisten reinen Thriller. Viel Action sollte man nicht erwarten, große Schusswechsel sind nicht das Ding des Niederländers. Er braucht sie aber auch nicht. Bei seinem Angriff auf Patriarchat und Bigotterie reichen schon kleine Momente, damit man vor dem Fernseher innerlich zusammenzuckt.
(Anzeige)