„First Reformed“, USA, 2017
Regie: Paul Schrader; Drehbuch: Paul Schrader; Musik: Lustmord
Darsteller: Ethan Hawke, Amanda Seyfried, Cedric Kyles, Philip Ettinger
Seit einer Weile schon hadert Ernst Toller (Ethan Hawke) mit seinem Leben. Sein Sohn ist tot, gestorben in der Armee, zu der Toller ihn ermutigt hatte. Die Ehe ist vorbei, konnte den großen Verlust nicht verkraften. In einer kleinen Gemeinde predigt der Pfarrer nun, während er abends seinen Kummer in Alkohol ertränkt. Da lernt er Mary (Amanda Seyfried) kennen, die ihn darum bittet, mit ihrem Mann Michael (Philip Ettinger) zu sprechen. Denn der verlangt von Mary, ihr ungeborenes Kind abtreiben zu lassen, um in diese zerstörte Welt nicht noch mehr Kinder zu setzen. Toller lässt sich darauf ein, trifft sich zu einem Gespräch mit dem betrübten Ehemann. Doch anstatt Michael von der Schönheit des Lebens zu überzeugen, werden seine eigenen Zweifel stärker – gerade auch an der Kirche.
Etwas verwundert soll Paul Schrader gewesen sein, als sein neuestes Werk First Reformed einhellig von den Kritikern gefeiert wurde. Er selbst gab an, dass er eigentlich die Kontroverse gewohnt sei, diese auch wolle. Kontrovers waren seine letzten Filme sicherlich. Das bezog sich jedoch weniger auf deren provokative Inhalte als vielmehr auf die überschaubare Qualität. Sein Erotik-Drama The Canyons war eine völlige Katastrophe, Dog Eat Dog kam über Mittelmaß nicht hinaus. Da wirkt sein Ausflug in die Welt der Religion so, als hätte jemand in den Sommerferien kräftig gebüffelt und nun gleich mal eine Klasse übersprungen.
Viel Raum für Kontroverse
Bemerkenswert, geradezu ironisch an den nahezu einstimmig hervorragenden Kritiken: First Reformed wird tatsächlich Schraders Anspruch auf Kontroverse gerecht, indem er so manchen Abgrund freilegt, den vor allem in den USA niemand sehen möchte. Die ersten Fragen des desillusionierten Michael sind noch recht gewöhnlich. Wie Gott zulassen könne, dass so viel Schlechtes auf der Welt geschieht. Doch schon Tollers Reaktion, von offenherziger Unwissenheit geprägt, zeigt an, dass die Marschrichtung ungemütlich wird. Anstatt sich herauszureden oder Gottes Plan rechtfertigen zu wollen, lautet eine frühe Antwort: „I don’t know.“
First Reformed handelt aber davon, Antworten zu suchen, sich nicht weiter von Floskeln und schönem Schein blenden zu lassen. So wird Toller auffallend wenig bei seinen Predigten gezeigt, dafür aber, wie er Touristen herumführt und ihnen Andenken aus der Kirche verkaufen will – Baseballkappen als Zeichen des Glaubens, Spiritualität als reines Geschäft. Und auch eine große Feier, die zugunsten des 250. Jubiläums der Kirche geplant wird, nimmt einen großen Platz ein. Schließlich werden viele wichtige Gäste erwartet, man zeigt sich von seiner besten Seite. Wie viel davon nicht stimmt, wird erst mit der Zeit klar, Bilder von einem blutpinkelnden Pfarrer brennen sich durch den starken Kontrast umso schneller ins Gedächtnis.
Ein attraktiver Abgrund
Ethan Hawke stellt sich dabei als eine absolute Glücksbesetzung heraus. Er verkörpert gleichzeitig die Wärme und Sorge um die Menschen wie auch den seelischen Abfall, ist attraktiv und ausgezehrt in einem. First Reformed ist dabei gleichzeitig die Geschichte eines Mannes, dessen Zweifel immer größer werden, der feststellen muss, dass er sich nicht einmal auf seine Kirche verlassen kann. Das also, was ihm als einziges geblieben ist. Es ist aber auch die Geschichte eines Mannes, der zu sich selbst findet, über sich hinauswächst, wieder lernt die Welt da draußen aufzunehmen und nach eigenen Antworten zu suchen.
Worauf das Ganze hinauslaufen wird, welche Seite gewinnt, das lässt Schrader lange offen, vom glücksseligen Happy End bis zum Weltuntergang ist hier alles möglich. First Reformed, welches auf den 2017er Filmfestspielen von Venedig Weltpremiere feierte und im Rahmen des Filmfests München 2018 nach Deutschland kommt, ist aber nicht nur wegen der Ambivalenz so spannend. Schrader zeigt sich hier auch als ein Meister unheimlicher Atmosphäre. Die Bilder beklemmend, statisch und eng, von einer unheilvoll brodelnden Musik begleitet – immer wieder nähert sich der Film dem Thrillergenre an. Auch Horror ist nicht so weit weg. Der Albtraum, den der amerikanische Regisseur und Drehbuchautor in einem sehr gemächlichen Tempo heraufbeschwört, ist dabei aber nur zu irdisch und genau dadurch umso verstörender. Man fühlt bei Toller mit, seinen Schmerz, seine Zweifel, wird zu einem Mitbeschwörer, wenn wir auf der Suche nach dem Licht immer tiefer in die Dunkelheit hinabgleiten, neugierig und ängstlich, was uns da unten erwarten wird.
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