„Mou“, Iran, 2016
Regie: Mahmoud Ghaffari; Drehbuch: Mahmoud Ghaffari
Darsteller: Shirin Akhlaghi, Zahra Bakhtiyari, Shabnam Akhlaghi
Wütend weinend kämmt sich ein junges Mädchen gewaltsam ihr schönes, schwarzes Haar. Dabei sind nicht einmal unmittelbar ihre Haare Schuld an ihrem Zorn. Die Geschichte beginnt schon viel früher, präventiv könnte man sagen.
Das Mädchen ist eine temperamentvolle, aufgeweckte, taubstumme Athletin, die mit ihren ebenfalls taubstummen Mitbewohnerinnen für die Karate-Weltmeisterschaft in Deutschland ausgewählt wurde. Als klassisches Sportlerdrama erzählt Mou, auch unter dem internationalen Titel Hair bekannt, vom schwersten Kampf dieser drei Frauen. Der übermächtige Gegner wartet auf sie aber nicht auf der Karatematte, sondern steht ihnen mit den Behörden des iranischen Staates gegenüber. Die religiösen Kleidungsvorschriften des muslimischen Landes gilt es zu besiegen, eine Aufgabe, die mehr erfordert als Disziplin, Leidenschaft und Motivation; Tugenden, die den Helden anderer Sportlerdramen zum Happy End verholfen hätten.
Die muslimische Kleiderordung nach der im Iran geltenden Scharia verfügt, dass Frauen in der Öffentlichkeit alle Körperteile außer Händen, Füßen und Gesicht verdecken müssen. Figurbetonte Kleidung ist tabu, zudem müssen den Po mindestens zwei Kleidungsschichten verdecken. Bei Wettkämpfen oder anderen Gelegenheiten, bei denen die drei Karatemeisterinnen gesehen, fotografiert oder gefilmt werden könnten, tragen sie zu ihrem Karateanzug, enganliegende Jersey-Mützen, um ihr Haar vor den Blicken Fremder zu beschützen. Die Wettkampfleitung duldet diese Kopfbedeckung. Über eine weitere Sonderregelung muss der internationale Verband noch entscheiden: Im traditionellen Karateanzug liegt allerdings durch den Verzicht auf den Haarschleier ihr Hals frei. Auch er muss bedeckt werden, weshalb die iranischen Sittenwächter eine Art Schal unter dem Anzug fordern.
Iranisches Recht verhindert Turnierteilnahme
Drei Tage vor ihrem Abflug nach Deutschland erhalten die drei Frauen, gespielt von Shirin Akhlaghi, Zahra Bakhtiyari und Schabnam Akhlaghi, die erschütternde Nachricht: Die World Karate Federation verbietet das Tragen des Schals, weshalb die iranischen Behörden die Wettkampfteilnahme der drei Frauen ohne deren Wissen zurückziehen. Keine Erklärung, keine Begründung, kein Einspruch: „Erst der Hals, dann die Haare, und schon lassen sie euch die Hosen ausziehen“ mutmaßt der Verantwortliche und fügt hinzu, wie im die Sportlerinnen zu beruhigen: „Es ist nicht das erste Mal, dass Iranerinnen nicht bei internationalen Wettkämpfen teilnehmen dürfen, weil die Bedingungen gegen iranisches Recht verstoßen“.
Selbstverständlich und ohne den Widerspruch der Karatekas wahrzunehmen, entmündigt die Behörde die Athletinnen. Ihre Taubstummheit verstärkt den Eindruck des Nichtgehörtwerdens, den der gesamte Film vermittelt. Mit hektischen Gesten und gutturalen Lauten fordern die Frauen Erklärung von dem Beamten, der ihnen die schlechte Neuigkeit überbringt. Erfolglos. Sichtlich verärgert wirft er die Sportlerinnen aus seinem Büro, ohne Verständnis dafür, dass mit der Absage der Wettkampfteilnahme das Leben der drei vollkommen aus den Fugen gerät. Die Frauen haben ihre Familien und Heimatorte verlassen, um in sich in der fremden Großstadt auf ein Turnier vorzubereiten und müssen nun, da sie nicht teilnehmen werden, kampflos in ihr altes Leben zurückkehren, ohne Perspektive, ohne Ziel.
Kapitulation ist für die drei Frauen keine Option
Das harte Training lehrte die Karatekämperinnen aber, dass ein starker Wille alles möglich macht. Ein Beamter für Kleidungsvorschriften, den die Athletinnen aufsuchen, versucht ihnen, das Unverständliche verständlich zu machen: wie der Hals einer Frau bedeckt sein muss und welche Anzahl an Knöpfen am Halsausschnitt eines Damenkleides angebracht sein müssen. Die drängendste Frage „Warum?“ beantwortet er jedoch nicht, sondern verweist die Frauen an einen religiösen Führer, dem sie ihr Problem schildern sollen. Nur ein Ayatolah, also eine moralische, geistliche Instanz (LU), kann Ausnahmen des religiösen Rechts verfügen. Packend ist die leidenschaftliche Suche der drei Frauen nach Antworten und einer Möglichkeit, an dem Wettkampf teilzunehmen, für den sie so lange trainiert haben. Doch ist ihr Kampf gegen die Institutionen nicht vergebens? Das Ende von Mou ist überraschend und bitter. Einem Sieg folgt eine noch größere Niederlage, dramaturgisch spannend vorbereitet. Die Dialoge sind untertitelt, die Unterhaltungen in Gebärdensprache der drei Hauptfiguren werden aber nicht übersetzt. Das iranische Original gibt den Inhalt der gestischen Gespräche ebenfalls nicht an, das ausdrucksstarke Spiel der Darstellerinnen lässt den Zuschauer aber dennoch verstehen und mitfühlen. Der Klimax der Handlung ist ein grotesker Ausbruch weiblichen Zorns, wild, schön und doch machtlos – eine tragisch glaubhafte Verzerrung von Miley Cyrus’ Poptravestie.
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