„Nico, 1988“, Belgien/Italien, 2017
Regie: Susanna Nicchiarelli; Drehbuch: Susanna Nicchiarelli; Musik: Gatto Ciliegia Contro il Grande Freddo
Darsteller: Trine Dyrholm, John Gordon Sinclair, Karina Fernandez, Sandor Funtek
Als die unter dem Künstlernamen Nico bekannte Sängerin Christa Päffken (Trine Dyrholm) Mitte der 1980er durch Europa tourt, ist der Ruhm vergangener Tage schon lange verblasst. Ihre Band setzt sich aus Geldgründen aus ein paar Amateurmusikern zusammen, die sie interviewenden Journalisten wissen nicht wirklich viel mit ihr anzufangen. Und wenn interessieren sie sich nur für ihre Vergangenheit, als sie in den 50ern und 60ern als Model und Schauspielerin begann, bevor sie zusammen mit The Velvet Underground Kultstatus errang. Ihre späteren Soloalben wurden hingegen kaum beachtet. Aber auch privat läuft es nicht besonders bei der in Deutschland geborenen Künstlerin: Immer wieder macht ihr ihre Drogensucht und auch das Verhältnis zu ihrem Sohn Ari (Sandor Funtek) zu schaffen, den sie als junges Kind hatte abgeben müssen.
Sie galt als eine Muse von Andy Warhol, hatte eine Affäre mit Alain Delon, aus dem der nie von ihm anerkannte Sohn Ari hervorging, beeinflusste mit ihrer dunklen Stimme spätere Musikgrößen wie Siouxsie & the Banshees – es war schon ein sehr bewegtes Leben, das die Deutsche Nico da führte. In ihrem Biopic Nico, 1988 konzentriert sich die italienische Regisseurin und Drehbuchautorin Susanna Nicchiarelli jedoch auf die letzten Jahre der Ikone, als sie mit überschaubarem Erfolg ihr Comeback auf europäischen Bühnen versuchte.
Mitten am Ende
Das ist durchaus bemerkenswert: Wo andere Künstlerbiografien sich auf die schillernden, großen Phasen stürzen, jene Zeit, von dessen Ruhm die Porträtierten zehren, zeigt uns Nicchiarelli jemanden, den kaum noch jemand sehen mag. Mehr noch, die Filmemacherin verwendet auch kaum Flashbacks, wenige Texttafeln, lässt nur selten durch ihre Figuren die Vorgeschichte erzählen. Das hat zur Folge, dass Neueinsteiger ziemlich im Regen stehen gelassen werden. Wer Nico ist, wofür sie eigentlich berühmt wurde, das wird nicht verraten, das muss das Publikum entweder schon wissen oder sich im Anschluss selbst aneignen.
Nico, 1988, das auf den Filmfestspielen von Venedig 2017 Premiere feierte, ist daher weniger für die Zuschauer geeignet, die sich für die Biografie von Künstlern interessieren. Vielmehr ist das Drama eine Annäherung an die Persönlichkeit der nicht unumstrittenen Sängerin. Der Versuch, eine Stimmung wiederzugeben, weniger konkrete Fakten. Von der Stimmung gibt es dafür mehr als genug: Auftritte in dunklen Clubs oder auf nächtlichen Straßenbühnen, lange Autofahrten ohne Dialoge. Momente ohne große Bedeutung wechseln sich gleichberechtigt mit dramatischen Zuspitzungen ab.
Gelungene Neuinterpretation
Das wirkt oft weniger wie ein Film als vielmehr wie ein Fotoalbum, durch das jemand blättert. Ein Fotoalbum mit Videos. Und Musik natürlich, jeder Menge Musik. Die wird hier auch tatsächlich durch Hauptdarstellerin Trine Dyrholm selbst gesungen. Die unter anderem für Who Am I – Kein System ist sicher und Die Erbschaft bekannte Dänin zeigt hier beachtliches Talent, wenn sie die melancholische Grabesstimme der Kultsängerin imitiert. Nicht jeder Ton sitzt dabei, soll es aber auch gar nicht. Nicht in einem Film, der besonders die weniger idealen Züge seiner Protagonistin beleuchtet.
Nico wird dann auch nicht gerade als Sympathieträgerin dargestellt. Ein wenig weltfremd ist sie, lebt in ihren eigenen, oft von Drogen unterstützten Sphären. Und kühl natürlich: Die Frau, in deren Lieder sich emotionale Abgründe auftaten, lässt nur wenige an sich heran. Eine Glorifizierung, wie sie so oft in Künstlerporträts stattfindet, die interessiert Nicchiarelli nicht. Aber sie verurteilt auch nicht, selbst in den weniger schmeichelhaften Momenten. Diese Unzugänglichkeit wird sicher nicht jedem gefallen, manch einen im Publikum unbefriedigt oder verwirrt zurücklassen. Und doch ist sie eben auch Stärke eines Biopics, das sich auf diese Weise seinem faszinierenden Thema annähert. Man muss nicht mögen, was da auf der Leinwand passiert. Man muss es auch nicht zwangsweise verstehen. Aber es liegt doch ein eigenartiger Zauber auf diesen düsteren Liedern und der Frau, die diese wiedergibt. Ein Zauber, der in den Schatten dieser Welt geflüstert wurde, in den Schatten einer Seele, die gleichermaßen stark und zerbrechlich war.
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