Piercing

Piercing

„Piercing“, USA, 2018
Regie: Nicolas Pesce; Drehbuch: Nicolas Pesce; Vorlage: Ryū Murakami
Darsteller: Christopher Abbott, Mia Wasikowska

Piercing DVD
„Piercing“ // Deutschland-Start: 28. Juni 2019 (DVD/Blu-ray)

Reed (Christopher Abbott) hat eigentlich alles, was es zu einem guten Leben braucht. Er hat einen Job, ist glücklich verheiratet, hat ein kleines Töchterlein. Er hat allerdings auch etwas anderes: den unerklärlichen Drang, sein Kind zu töten. Zwar schafft er es gerade noch, diesen Impuls zu unterdrücken. Doch jetzt braucht es einen Ausgleich. Die Möglichkeit, anderweitig Dampf abzulassen. Warum also nicht einfach stattdessen eine Prostituierte töten? Der Plan ist schnell gefasst, der Zufall wählt Jackie (Mia Wasikowska) als seine Liebes- und Todesgespielin. Dabei muss Reed jedoch feststellen, dass das Planen eine Sache ist, die Umsetzung wieder eine ganz andere.

Noch bevor die erste Szene beginnt, dürften Genrefreunde eine grobe Vorstellung gehabt haben, was sie bei Piercing erwartet. Wenn Nicolas Pesce, der zuvor mit dem kunstvollen The Eyes of My Mother das Publikum verstörte, einen Roman von Ryū Murakami (Audition) adaptiert, dann ist klar, dass es hier abgründig wird. Dass wir in die Seelen zutiefst gestörter Menschen blicken dürfen. Dass dies aber auf eine sehr schicke Weise passieren wird, wir unseren Blick nicht mehr wenden können, selbst wenn wir das eigentlich wollten oder sollten.

Durchkomponiertes Mordskunstwerk
Höchst stylisch ist Piercing dann auch. Ähnlich zu Psychopaths im letzten Jahr kombiniert Pesce eine sehr einnehmende Retroästhetik mit Blutrünstigkeit zu einem Film, der gleichzeitig Kunstwerk und Schrecken sein soll. Mit dem Unterschied, dass Reed so gar kein Talent dazu hat, andere zu ermorden – trotz seines großen Bedürfnisses. Es ist sogar regelrecht komisch, wie er sich auf seine große Nacht vorzubereiten versucht. Da werden feinsäuberlich die Werkzeuge ausgebreitet, im Kopf geht er immer wieder durch, was er tun, was er sagen soll. Als eine Art Probe, damit er weiß, wie er sich später zu verhalten hat.

Das tut er dann aber doch nicht, auch weil Jackie selbst nicht das kleine wehrlose Mädchen ist, als das sie erscheint. Piercing, das 2018 auf dem Sundance Film Festival Weltpremiere feierte, ist die Geschichte eines Duells, das sich nicht sicher ist, ob es ein Duell ist. Zwei Menschen treffen aufeinander, mit geheimen Absichten, die manchmal Zeichen des anderen falsch verstehen oder umdeuten. Die ihre Grenzen austesten, sowohl an sich selbst wie auch aneinander. Gerade Reed, von Christopher Abbott (It Comes at Night) als unsicherer großer Junge gespielt, wirkt oft so, als wäre er selbst von all dem zu Tode erschreckt, was da um ihn herum passiert.

Stilvoller Hauch von Nichts
Wobei, so richtig viel passiert bei dem Beitrag vom Filmfest München 2018 eigentlich nicht. Es gibt relativ wenig Entwicklung, trotz der Versuche, später noch Wendungen einzubauen. So spaßig es ist, Abbott und Wasikowska (Crimson Peak, Stoker – Die Unschuld endet) anfangs bei ihren erotisch aufgeladenen Machtspielchen zuzusehen, so richtig viel kommt dabei nicht heraus. Obwohl die Laufzeit mit wenig mehr als 80 Minuten ohnehin sehr kurz angelegt ist, Piercing schafft es nicht so recht, diese mit genügend Inhalt zu füllen, nicht mit genug Spaß oder auch Horror. Zumindest aber empfiehlt sich Pesce erneut als einer der kunstfertigsten Filmemacher, die das Genrekino in der letzten Zeit hervorgebracht hat. Er müsste es nur bei seinem nächsten Werk schaffen, sein Händchen für Atmosphäre und Bilder mit mehr Geschichte zu verbinden bzw. diese ein wenig greifbarer zu machen.



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Ein Mann will endlich jemanden töten und bestellt sich dafür ein Callgirl aufs Hotelzimmer. Das ist teils erschreckend komisch und äußerst stilvoll umgesetzt. Doch trotz der erstklassigen Besetzung und im Grundsatz interessanter Machtspielchen, so ganz fesselt „Piercing“ dann doch nicht, zeigt eine Menge, ohne viel zu sagen.
6
von 10