„Recovery Boys“, USA, 2018
Regie: Elaine McMillion Sheldon
Die Zahl kommt erst zum Schluss, macht aber doch mehr als betroffen: 90 Prozent aller US-Amerikaner, die Hilfe beim Drogenentzug bräuchten, bekommen sie nicht. Das verwundert nicht wirklich, der gleichgültige Umgang mit Hilfsbedürftigen ist unter Trump nicht unbedingt besser geworden. Wer nicht für sich selbst sorgen kann, hat auch kein Anrecht auf den American Dream. Schockierend ist die Zahl dennoch, da Recovery Boys von den 10 Prozent spricht. Denen, die Glück hatten. Und die dennoch alles andere als glücklich sind.
An Dr. Kevin Blankenship liegt das nicht. Er hat viel für die vier Betroffenen getan, die in der Netflix-Dokumentation zu Wort kommen. Wohl auch seines Sohnes wegen, der selbst an Drogensucht litt, startete er ein eigenes Programm, um den Menschen zu helfen. Anders als man es bei einer Einrichtung im Süden der USA erwarten könnte, spielt Gott bzw. Religiosität dem Namen zum Trotz in Jacob’s Ladder keine größere Rolle. Stattdessen soll die Arbeit auf der Farm die Drogenabhängigen auf andere Gedanken bringen. Wer etwas zu tun hat, eine Aufgabe erfüllen muss, dem fällt es leichter, sich von den unheilvollen Rauschmitteln fernzuhalten, so zumindest die Theorie.
Viele Wege führen in die Sucht
Recovery Boys scheint diese Theorie auch zu bestätigen. Wir lernen Jungs kennen, die in ihrem Leben schon einiges mitansehen mussten, viel persönliches Unglück erlebt haben. So viel, dass man beim Zählen der Todesfälle und anderen Tragödien gar nicht mehr mitkommt. Und selbst wer nicht vom Pech verfolgt war: Der Ort bietet auch unter normalen Umständen keine echte Perspektive mehr. Eine kleine Mine gibt es in der Nähe, das war es aber auch schon. Jobs sind Mangelware, das amerikanische Niemandsland verdeutlicht, warum jenseits des großen Teiches so viele Menschen empfänglich sind für leere Versprechungen und glitzernde Hoffnungsschimmer.
Regisseurin Elaine McMillion Sheldon gelingt es hier sehr gut, die Zahl oben mit Gesichtern zu verknüpfen. Zu sagen, was es eigentlich heißt, drogenabhängig zu sein und nicht wieder aus dem Teufelskreis herauszufinden. Der Film beschönigt nicht, stilisiert die Abhängigen nicht zu bemitleidenswerten Opfern. Wohl aber lehrt er, wieder zuzuhören und die Geschichten hinter den Zahlen zu entdecken. Es gibt weder den einen Grund Drogen zu nehmen, noch gibt es den Drogenabhängigen an sich. Dass jedes Schicksal irgendwo einzigartig ist, wissen wir natürlich. Recovery Boys lässt einen das aber auch spüren.
Die Zeit nach dem Happy End
Eindrucksvoll ist dabei aber vor allem die zweite Hälfte. Während sich die Dokumentation zunächst mit dem Leben auf der Farm befasst und dabei das eine oder andere Erfolgserlebnis mit den Zuschauern teilt, folgt hier nun die Frage: Und was kommt danach? Wo andere vielleicht bei dem erbaulichen Ende des Farmaufenthalts den Schlusspunkt setzen würden, um Programm bzw. Einsatz für Abhängige zu fördern, da begleitet Sheldon die Betroffenen auch danach, als das normale Leben sie wiederhat.
Normal, das bedeutet in Recovery Boys aber nicht, wieder ganz von vorne anzufangen, eine Welt vorzufinden, deren sämtlichen Türen dir offenstehen. Denn plötzlich befinden sich die Protagonisten wieder an den Stellen, die sie erst in ihre Drogensucht geführt hat. Die fehlenden Jobs, das kaputte Umfeld, die mangelnde Aussicht auf Besserung, nichts hat sich geändert. Wer bereits vorbestraft ist, dessen Optionen sind ohnehin sehr beschränkt. Wegziehen ist aufgrund der Bewährungsauflagen kein Thema. Hierbleiben ist aber genauso schlimm. Die Dokumentation schärft also nicht nur den Blick dafür, was sich hinter den Zahlen zu Drogenmissbrauch befindet, sondern auch dass Orte wie Jacob’s Ladder nur der Anfang sein können.
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