„Swagger“ oder auch das davon abgeleitete „swag“ ist ein Wort, vor dem es einige Jahre lang praktisch kein entkommen gab, das 2011 sogar zum Jugendwort des Jahres gewählt wurde – und das obwohl kaum einer genau sagen kann, was es eigentlich heißt. Mehr Lebensgefühl als Definition gibt es daher bis heute auch keine entsprechende Übersetzung in anderen Sprachen für einen Begriff, der irgendwo zwischen lässig, cool und selbstverliebt bis arrogant angesiedelt ist. Und so versuchtet Regisseur Olivier Babinet auch gar nicht, seinem Dokumentarfilm einen anderen Titel zu geben, trotz der bekannten französischen Abneigung gegenüber Anglizismen.
Die coole Perspektivlosigkeit
Swagger ist aber auch deshalb bemerkenswert, weil der Begriff bei einem Thema Anwendung findet, wo man ihn so gar nicht vermuten würde: einer Schule in Aulnay-sous-Bois, jenem Pariser Vorort, der 2005 durch die Unruhen auch international in den Schlagzeilen stand. Ein Dokumentarfilm darüber zu drehen, das schreit eigentlich geradezu nach Betroffenheitskino. Ein Film, der davon erzählt, wie furchtbar schrecklich das doch alles ist, wie sehr überall Perspektiven fehlen, wie arm all diese Kinder dran sind.
Ganz falsch ist das nicht, weder Babinet, noch seine jungen Schützlinge machen sich etwas vor, dass die Welt da draußen nicht gerade auf die Kinder mit dem Migrationshintergrund gewartet hat. Und doch ist der Film anders, sehr viel bunter und schräger, als man erwarten könnte. Nicht umsonst feierte Swagger seine Weltpremiere in der Independent-Sektion ACID, die dem Glamour des Hauptfestivals von Cannes eine gehörige Portion Andersartigkeit entgegensetzt.
Ein weit gereister Geheimtipp
Anschließend wurde der Film von Festival zu Festival weitergereicht, in Deutschland lief er 2017 beispielsweise beim DOK.fest München und den Französischen Filmtagen Tübingen-Stuttgart. Eine reguläre Veröffentlichung hierzulande steht leider noch immer aus, vielleicht aufgrund des speziellen Themas. Dabei hat das Werk einiges zu sagen: Bei Salminen kommen die unterschiedlichsten Kinder und Jugendliche zu Wort. Einige schauen selbstbewusst in die Zukunft, sind Paradiesvögel, die dem Titel Swagger wirklich gerecht werden. Andere sind dafür zurückhaltend, ringen mit sich, mit Worten, mit der Welt da draußen.
Das wäre durch die Vielzahl an Stimmen, die zusammen einen heterogenen Blick auf die Welt ermöglichen, auch so schon spannend genug. Swagger kombiniert diese regulären Interviews aber mit Szenen, die wie aus einem fremden Film wirken. Geradezu surreal mutet es an, wie hier Genregrenzen niedergerissen werden, man sich in einem Highschool-Musical oder einem Science-Fiction-Film vermutet, so wie es eben auch darum geht, die vorgefertigten Grenzen dieser Welt niederzureißen. Die Jungs und Mädels hier sind bereit, die Welt zu ihrer Bühne zu machen, lassen uns an ihren Träumen und Fantasien teilhaben. Und man dankt es ihnen, dankt Babinet für sein energiegeladenes Kunstwerk und hofft insgeheim, dass es irgendwann vielleicht eine Fortsetzung gibt, die uns verrät, was aus diesen ungewöhnlichen Jugendlichen geworden ist.
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