Es war nur eine von vielen umstrittenen Personalien im Hause Trump: Als er den Republikaner Scott Gottlieb zum neuen Chef der FDA (Food and Drug Administration) ernannte, war das schon ein wenig heikel. Ein Mann, der für zahlreiche medizinische Unternehmen tätig war, soll nun dafür verantwortlich sein, welche Mittel eben diese Unternehmen auf den Markt bringen dürfen. Dass es hier, wie so oft bei Entscheidungen des US-Präsidenten, zu einem Interessenskonflikt kommt, das war kaum zu übersehen. Gottlieb selbst räumte das ein und kündigte daher im Vorfeld an, sich mindestens ein Jahr lang aus Entscheidungen herauszuhalten, die eben diese Unternehmen betrafen.
Nun könnte man diese dubiosen Verbindungen auf den in der Hinsicht nicht unbedingt armen Ex-Geschäftsmann zurückführen, dessen Entscheidungen selten mit ethischen Überlegungen einhergehen. Doch das Problem dieser fehlenden Trennung zwischen Aufsichtsbehörde und Industrie, das gab es vorher schon. Zum Teil zumindest, wenn es nach der neuen Netflix-Doku The Bleeding Edge – Das Geschäft mit der Gesundheit geht. Denn während neue Medikamente tatsächlich ausführliche Untersuchungen passieren müssen, um auf den Markt zu kommen, werden Geräte und mechanische Hilfsmittel oft durchgewunken. Sie sind neu, sie müssen gut sein. Heißt es.
Rückschritt durch Fortschritt
Dass neu aber nicht automatisch besser bedeutet, das zeigen neue Hüftimplantate, die eine Reihe unerwünschter Nebenwirkungen haben können. Dr. Stephen Tower, der eine solche künstliche Hüfte in seinem Körper trug, war einer von vielen, die im Anschluss unter psychischen Verwirrungen litten bis hin zu einem völligen Kontrollverlust. Welchen Schaden diese Hilfsmittel anrichten können, das musste er am eigenen Leib erfahren, und wurde im Anschluss – aus nachvollziehbaren Gründen – zu einem erbitterten und lauten Gegner dieser speziellen Hüften.
Einen Fürsprecher aus dem medizinischen Umfeld zu haben, das ist immerhin ein kleines Glück im Unglück für die Betroffenen. Die anderen Beispiele für potenziell gefährliche Eingriffe, die The Bleeding Edge mit dem Publikum teilt, die müssen ohne diesen Beistand auskommen. Tatsächlich ist das einer der schockierendsten Aspekte der Dokumentation, wie alleingelassen die Opfer hier sind. Die FDA interessiert sich nicht für sie, so wie Politik und Medizin sich nicht um sie kümmern. Wenn überhaupt etwas geschehen soll, dann auf eigene Initiative, durch Protestaktionen, für die sich die Teilnehmer auch noch beschimpfen lassen müssen.
Der Horror, der aus der Klinik kam
Dabei sind die Einzelschicksale, von denen Regisseur Kirby Dick hier erzählt, Stoff für Horrorfilme. Heraushängende Organe, innere Blutungen, Dutzende von OPs, Schnitte in Geschlechtsteilen und der erwähnte Wahnsinn – wer sich The Bleeding Edge anschaut, der wird sich den nächsten Krankenhausbesuch zweimal überlegen. Das ist durchaus auch eine der Absichten des Dokumentarfilms: eine Sensibilisierung der Zuschauer für das Thema, eine kritischere Auseinandersetzung mit den Versprechungen der Industrie. Nicht umsonst spielt der Titel auf den Ausdruck „Cutting Edge“ an, der gern verwendet wird, um besonders moderne Errungenschaften anzupreisen, und der hier eine unangenehm wörtliche Bedeutung annimmt.
Dafür trägt Dick dann auch gern mal ein bisschen stärker auf. Die Musik wird dramatischer, die Geschichten der Betroffenen sollen schockieren und betroffen machen, egal wie. The Bleeding Edge neigt daher zu eben dieser Manipulation, die der Film den Unternehmen vorwirft. Eine Gegenstimme fehlt größtenteils, auch weil die angeklagten Unternehmen sich nicht an der Produktion beteiligen wollten, gleiches gilt für die FDA. Eine neutrale Vorgehensweise ist daher kaum möglich, war vermutlich aber auch nicht wirklich beabsichtigt. Effektiv ist die Doku dafür umso mehr, sowohl in den persönlichen Momenten wie auch in denen, wenn die Profitgier und die Scheinheiligkeit der Unternehmen thematisiert werden. Helfen wollen sie den Menschen, so sagen sie, so sagen auch die Ärzte, die sich von Provisionen zu unnötigen Operationen verleiten lassen. Und sind am Ende doch nur an dem Geld interessiert.
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