„Thunder Road“, USA, 2018
Regie: Jim Cummings; Drehbuch: Jim Cummings; Musik: Jim Cummings
Darsteller: Jim Cummings, Nican Robinson, Jocelyn DeBoer, Kendal Farr
Das Leben lief schon einmal besser für Jim Arnaud (Jim Cummings). Seine Mutter ist tot. Und da seine beiden Geschwister nicht zur Beerdigung kommen, liegt es an ihm, eine Rede zu halten. Dabei hätte er genug andere Sorgen. Am schlimmsten ist die, dass seine Noch-Frau Roz (Jocelyn DeBoer) ihm die gemeinsame Tochter Crystal (Kendal Farr) vorenthalten könnte. Denn die liebt er über alles, auch wenn er keinen wirklichen Zugang mehr zu ihr findet. Und selbst bei seiner Arbeit als Polizist gibt es Probleme, obwohl sein bester Freund und Partner Nate Lewis (Nican Robinson) alles dafür tut, um ihm zu helfen. Aber manchmal ist alles eben nicht genug.
Es habe eine Komödie gedreht, sagte Jim Cummings, als er Der Chaos Cop – Thunder Road bei seiner Deutschlandpremiere auf dem Filmfest München 2018 vorstellte. Und ein Drama. Das ist keine wirklich ungewöhnliche Kombination, mittlerweile dürfte es mehr Filme geben, welche diese Grenzen aufweichen als solche, die sich streng an einen der beiden Bereiche halten. Ungewöhnlich ist dabei jedoch, wie der Regisseur, Drehbuchautor und Hauptdarsteller dies in seiner One-Man-Show tut. Wo andere behutsam das Komische in das Ernste übergehen lassen, sind die Übergänge hier abrupt. So abrupt, dass man vor lauter Schock oft gar nicht mehr sagen kann, welche Reaktion eigentlich noch angemessen ist.
Das große Gefühlschaos
Das zeigt sich gerade auch in der Rede, die Arnaud zu Beginn des Films hält. Überlegt hatte er sich im Vorfeld schon einiges. Nur klappen will das nicht. Das Kassettendeck seiner Tochter funktioniert nicht, er selbst verliert immer wieder den Faden, reiht wahllos Sätze aneinander, die von seiner Kindheit und der schwierigen Beziehung zu seiner Mutter handeln. Immer wieder bricht er dabei in Tränen aus. Aber es ist kein Weinen, wie wir es sonst in Filmen zu sehen bekommen, eine schöne, gesittete emotionale Zuspitzung, um das Publikum mitzunehmen. Es ist grotesk, wie Cummings hier das Gesicht verzieht, gewaltsame Gefühlsausbrüche das ruhige Ambiente zerstören. Komisch, ja, aber eben auch tragisch, eine Darstellung davon, was es bedeutet, von Emotionen überrannt zu werden.
Der eine oder andere wird diese Rede vielleicht aus einem anderen Zusammenhang kennen. Zwei Jahre zuvor hatte Cummings einen Kurzfilm gedreht, auch schon unter dem Titel Thunder Road, der allein von dieser Rede handelte. Einige Filmpreise reicher machte sich der Amerikaner anschließend an die Arbeit, aus dieser etwas mehr als zehn Minuten dauernden Sequenz einen ganzen Film zu machen. Gewissermaßen. Eine fortlaufende Geschichte erzählt er hier nicht, gibt stattdessen weitere Einblicke in das Leben des Polizisten – berufliche wie private –, um auf diese Weise ein faszinierendes, unterhaltsames und auch schmerzhaftes Porträt anzufertigen.
Ein Widerspruch auf zwei Beinen
Lächerlich sieht er aus, der junge Mann mit dem Schnurbart, der wie ein Überbleibsel einer anderen Zeit in seinem Gesicht vergessen wurde. Ein bisschen vertrottelt, wenig souverän. Eine typische Witzfigur eigentlich, wie man sie sich auch in einer normalen Komödie vorstellen könnte. Nur dass Jim eben in Frage stellt, was normal eigentlich heißt. Er hat das Herz am rechten Fleck, möchte sich um andere kümmern, neigt gleichzeitig aber zu schrecklichen Gewaltausbrüchen. Wie ein Kind, das nicht versteht, warum die Welt so ist, wie sie ist, zwischen Selbstleugnung und Wut wandelt, während um ihn herum alles zusammenbricht. Ein Mann, den man in den Arm nehmen, vor dem man sich aber auch verstecken möchte. Vor ihm und seiner Unberechenbarkeit.
Richtig viele Infos gibt einem Cummings dabei nicht mit auf den Weg, Erklärungen, wie das eine zum anderen kam. Dann und wann lässt er lediglich durchschimmern, wie komplex gerade auch die Geschichte seiner Familie ist. Aber das Gespräch wird vertagt, wir bleiben mit Fragen zurück. So wie wir eben auch im Leben oft mit Fragen zurückbleiben, wenn mal wieder nichts Sinn ergibt, niemand da ist, der uns das Chaos erklären könnte. Thunder Road nimmt uns mit in dieses Chaos, lässt uns damit allein, gleichzeitig aber auch wieder nicht. Es ist teils ziemlich übertrieben, wovon der Film da redet, und ist doch unserer Lebensrealität näher, als wir es wahrhaben wollen. Arnaud ist ein außergewöhnlicher Mensch, in dem wir uns selbst wiederfinden, über den wir manchmal lachen können, der einem aber auch immer wieder das Herz herausreißt.
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