Dass der Mensch von heute sich nur sehr ungern von seinem Handy trennt, das lässt sich in so ziemlich jeder Lebenssituation beobachten: Im Restaurant, in der Bahn, auf Konzerten oder zu Fuß in der Innenstadt – der Blick ist streng auf den besten Freund gerichtet, so als hätte man Angst, er könnte im nächsten Moment weg sein. Eine Ausnahme gibt es aber natürlich. Gibt es ein neueres Modell, im Idealfall erschwinglich, dann ist der treue Begleiter schnell weg vom Fenster. Man muss ja schließlich auf dem Laufenden bleiben.
Was aber geschieht mit den alten Handys? Recycling vermutlich. So genau befassen sich die wenigsten damit, braucht es ja auch nicht. Die beiden Regisseure Florian Weigensamer und Christian Krönes, dem einen oder anderen für das Dritte-Reich-Porträt Ein deutsches Leben bekannt, wollten es aber wissen. Genauer drehten sie ihren Film an einem Ort, der zur letzten Ruhestätte von Handys, aber auch Computern und sonstigem Elektroschrott wird: eine Mülldeponie in Agbogbloshie, ein Stadtteil der ghanaischen Metropole Accra.
Die Reste der Welt an einem Ort
Gigantisch ist diese, rund 250.000 Tonnen zumeist in der zivilisierten Welte ausrangierter Gegenstände finden ihren Weg dorthin, vieles davon illegal. Das war nicht immer so, früher soll es an dieser Stelle mal Sumpfland gegeben haben. Und manchmal meint man auch, beim Inspizieren der Berge aus Kabeln und Metalle, dass der Boden unter einem etwas schwankt. Aber vielleicht ist es auch das Gift, das die Sinne benebelt, der Rauch, wenn auf der Suche nach Verwertbarem vieles verbrannt wird.
Manchmal wirkt Welcome to Sodom, das auf dem Filmfest München 2018 deutsche Premiere feierte, wie ein Endzeitfilm. Wie eines dieser vielen Werke, die eine besonders düstere Zukunftsvision entwerfen wollen. Nur dass das hier eben nicht Zukunft, sondern Gegenwart ist. Und auch nicht allzu fiktiv. Wobei, immer wieder werden die Szenen des Alltags von Voice-Overs begleitet, wenn Menschen vor Ort ihre Erfahrungen teilen, ihre Hoffnungen, Träume und Ängste. Das ist teilweise poetisch, der Flüchtlingsdoku Taste of Cement – Der Geschmack von Zement nicht unähnlich.
Persönlich und doch zurückhaltend
Gleichzeitig gehen Weigensamer und Krönes aber auch sehr nüchtern ans Werk. Auch wenn ihr Dokumentarfilm sehr auf das Persönliche fokussiert ist, das Menschliche, es nutzt das Elend der Leute nicht aus. Welcome to Sodom ist kein Betroffenheitskino, das mit dramatischer Musik oder tränenreichen Szenen um eine bessere Welt bettelt. Im Gegenteil, manchmal ist es unwirklich, geradezu surreal, was hier geschieht. So als würde es gar nicht real geschehen, sondern nur ein Fiebertraum sein.
Nur hin und wieder bauen sie Erinnerungen an die Welt da draußen ein, nackte Zahlen, die sie mit eingeblendeten Texttafeln zwischen die Bilder schieben. Ob dies ausreicht, um das abgestumpfte Publikum aufmerksam zu machen? Sie für eine Minute vom Bildschirm ihres Handys wegzulocken? Vielleicht nicht, vielleicht hätte Welcome to Sodom dafür lauter sein müssen, plakativer. Wer hingegen offen ist, auch für unangenehme Neuigkeiten jenseits des Skandalfaktors, der wird den bedrückenden Ausflug auf die westafrikanische Mülldeponie so schnell nicht vergessen. Die Geschichten von Menschen, die ihr Leben auf dem aufzubauen versuchen, was für andere nicht mehr gut genug ist. Und wird vielleicht ein unangenehmes Gefühl irgendwo in sich verspüren beim nächsten Blick auf das Handy.
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