Kei Nagai ist ein ganz normaler Junge. So dachte er zumindest. Bis er beim Überqueren der Straße einmal nicht aufpasste und voll von einem Lkw erwischt wird. Das bedeutet den sicheren Tod. Als Kei kurze Zeit drauf aber schon wieder auf den Beinen ist, wird klar: Er ist kein Mensch, sondern ein Ajin. Warum es Leute gibt, die einfach nicht sterben und über ungekannte Regenerierungsfähigkeiten verfügen, das konnte bislang niemand klären. Auch weil es nur so wenige von ihnen gibt: Weniger als 50 sollen es sein. Entsprechend groß ist das Interesse an dem Jugendlichen, Regierung und Wissenschaft sind hinter ihm her. Während die Öffentlichkeit Angst vor diesen Unmenschen hat, regt sich aber auch erster Widerstand. Satō, selbst ein Ajin, ist fest dazu entschlossen, für die Rechte der Unterdrückten zu kämpfen – mit jedem Mittel.
Anders als die anderen zu sein, das ist nie besonders einfach. Das wird derzeit wieder eindrücklich und erschreckend demonstriert, wenn allüberall Stimmung gegen Einwanderer gemacht. Egal ob es nun die Herkunft ist, die religiöse Überzeugung, die sexuelle Orientierung oder ein anderer Punkt, der einen unterscheidet: Wer nicht ins Schema passt, wird fertiggemacht. Und so ist es dann auch kein Wunder, dass zahlreiche Serien und Filme sich eben dieses Themas annehmen, um von inneren wie äußeren Kämpfen von Außenseitern zu erzählen.
Zu stark für die Masse
Zunehmend werden aber auch Leute darin zu Außenseitern gemacht, die eigentlich viel zu stark sein sollten, um an den Rand geschoben zu werden. X-Men hat es vorgemacht, wie das Zusammenleben von Menschen und Mutanten durch Extremisten auf beiden Seiten unmöglich gemacht werden kann. The Darkest Minds – Die Überlebenden erzählte kürzlich davon, erweitert um viel Teeniedrama. Auch Devilman Crybaby berichtete von dem Schicksal eines dank dämonischer Kräfte überstarken Individuums, dessen Andersartigkeit mächtig Angst machte. Letzterer bietet sich als Vergleich für Ajin: Demi-Human natürlich besonders an. Schließlich handelt es sich bei beiden um Animes, die auf Mangas basieren und hierzulande über Netflix veröffentlicht wurden.
Und doch könnten sie beiden Serien unterschiedlicher kaum sein. Das wird schon auf den ersten Blick ersichtlich: Wo der teuflische Kollege auf traditionellen, wenngleich sehr stylischen Zeichentrick setzte, handelt es sich hier um eine Produktion aus dem Haus Polygon Pictures. Wer sonstige Werke des Studios kennt, etwa die anderen Netflix-Werke Blame! und Godzilla: Planet der Monster, der wird dann schon im Vorfeld wissen, dass die Japaner auf CGI setzen, die sich an klassischen 2D-Animes orientiert. Das Ergebnis ist eine eigenwillige Mischung aus beiden Stilrichtungen. Manchmal sieht das sehr gut aus, gerade die Hintergründe machen eine ganze Menge her. Der gewohnte Hang zu düsteren Farben passt ebenfalls gut zu der Geschichte. Gerade die Animationen irritieren jedoch sehr, da sie zwar realistischer sind als Zeichentrick, dafür aber sehr langsam, so als würde sich jeder in Zeitlupe bewegen.
Mir doch egal, was passiert!
Der interessanteste Aspekt von Ajin: Demi-Human ist dabei noch die Hauptfigur. Anfangs ist er nicht mehr als ein gewöhnlicher Jugendlicher, der wie jeder in seiner Situation mit allem hadert, was um ihn herum geschieht. Umso mehr, da sich auf recht kuriose Weise alle aus seinem Umfeld gegen ihn wenden, von einem alten Kindheitsfreund abgesehen. Spannend wird es später, wenn sich Kei sehr viel weniger typisch verhält. Er weder Held noch Bösewicht ist, sondern auf eine erfrischend egoistische Weise mit nichts zu tun haben will. Das ist zwar weniger vorbildlich, aber doch ein frischer Wind im persilweißen Protagonisteneinerlei.
Ansonsten ist zumindest die erste Staffel nicht wirklich aufregend. Denn dafür passiert hier zu wenig, das sich von den vielen anderen unterdrückten Supermenschengeschichten abheben würde. Da spielt es dann auch keine Rolle, auf welche Seite wir blicken: Die Menschen und Halbmenschen setzen sich aus lauter Klischees zusammen, die genau immer das tun, was man von ihnen erwartet. Die Konflikte sind streng nach Vorschrift, die Selbstzweifel sind es auch. Lediglich die schwarzen Schatten, quasi Alter Egos der Unsterblichen, sind auffällig. Das hängt jedoch mehr mit ihrem unheimlichen Aussehen zusammen als mit einem besonders kreativen Auftreten. Schade ist zudem, dass noch nicht einmal versucht wird, das Rätsel dieser besonderen Fähigkeit zu lösen, sich hier keiner wirklich die Frage stellt, wieso dieses Phänomen plötzlich auftritt.
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