Eine wirkliche Perspektive hat Jong-soo (Ah-in Yoo), der sich mit kleinen Aushilfsjobs über Wasser hält, eher nicht. Dafür aber Träume. Vor allem einen: Er will Schriftsteller werden! Allein, es fehlt ihm an der passenden Idee. Da trifft er eines Tages Hae-mi (Jong-seo Jeon), die sich als frühere Klassenkameradin ausgibt. Sie reden, sie trinken, sie schlafen miteinander. Und ehe es sich Jong-soo versieht, hat er die Schlüssel zu ihrer Wohnung. Schließlich muss ja jemand nach ihrer Katze sehen, während sie in Afrika ist. Wirklich sehen tut er diese nicht, irgendwie scheint sie sich immer vor ihm zu verstecken, wenn er kommt. Dafür aber ist der ebenso charismatische wie vermögende Ben (Steven Yeun) umso sichtbarer, den Hae-mi von ihrer Reise mit nach Hause bringt.
Man kann nicht unbedingt behaupten, dass es Chang-dong Lee sonderlich eilig hätte bei seinem letzten Werk. Acht Jahre hat es gedauert, bis sich der südkoreanische Regisseur mal wieder blicken ließ. Dafür ist das Ergebnis ein ziemlicher Brocken geworden. Knapp zweieinhalb Stunden dauert Burning. Das ist viel für einen Film. Besonders, wenn es sich dabei um die Adaption einer nur wenigen Seiten starken Kurzgeschichte handelt – in diesem Fall Barn Burning von Haruki Murakami –, und der Film es meisterhaft versteht, sich immer wieder dem Zugriff des Publikums zu entziehen.
Langsam und intensiv
Das soll nicht bedeuten, dass Burning langweilig wäre. Trotz der üppigen Laufzeit und des äußerst gemächlichen Tempos, das Lee an den Tag legt: Man möchte im Anschluss keine der vielen, vielen Minuten missen. Im Gegenteil, es hätten gern noch mehr sein dürfen. Spannend ist die Geschichte der Dreiecksbeziehung, auch weil lange Zeit völlig unklar ist, worauf sie eigentlich hinauslaufen soll oder will. Nicht einmal das Genre ist klar umrandet. Thriller passt ebenso wie Mystery, die Romanze spielt eine große Rolle, traurige Geschichten. Dazwischen schieben sich immer wieder humorvolle Szenen hinein, oft getragen von ihrer Absurdität.
In einem normalen Film kann ein solches Nebeneinander der unterschiedlichsten Elemente fürchterlich in die Hose gehen. Glücklicherweise ist Burning aber kein normaler Film. Stattdessen zeigt der Genremix, der seine Premiere bei den Filmfestspielen von Cannes 2018 feierte und dort zum Kritikerkönig avancierte, eine geradezu unheimliche Kunstfertigkeit dabei, das Publikum auf falsche Fährten zu locken. Immer wieder, wenn man meint, die Geschichte durchschaut zu haben, taucht sie an einer völlig anderen Stelle wieder auf. Lee braucht dafür noch nicht einmal Twists à la Shyamalan, die oftmals reiner Selbstzweck sind und darauf aus sind, alles Vorangegangene auf den Kopf zu stellen. Was zuvor geschehen ist, hat in Burning immer noch Relevanz. Man kann nur nicht so genau sagen welche.
Ein Rätsel im Rätsel
Das ist durchaus mit den Werken Murakamis zu vergleichen, die ja ebenfalls mehr Zeit auf das Schaffen von Mysterien verwenden als auf deren Lösung. Wer Letztere von Burning erhofft, könnte enttäuscht sein, frustriert, verärgert. Oder eben auch fasziniert. Das mysteriöse, auch audiovisuell bestechende Wunderwerk schafft die Balance, Szenen nachvollziehbar auseinander entstehen zu lassen und doch irgendwie unabhängig voneinander zu sein. Eine Welt, die immer nachvollziehbar bleibt, und doch unerklärlich ist. Lee gibt sich nicht dem Surrealen hin wie ein Quentin Dupieux (Wrong), stellt aber doch alles in Frage. Selbst die Antworten.
Die langsam ansteigende Intensität, die im letzten Drittel verstörende Ausmaße annimmt, wird dabei an das Porträt eines auseinanderbrechenden Südkoreas gekoppelt. Das Nebeneinander von reich und arm, es findet sich hier auf ein Trio konzentriert. Gleichzeitig hat Burning auch einiges über das Verhältnis zwischen den Geschlechtern zu sagen, über Besitzansprüche an andere. Das lebt auch von den wundervollen Performances der drei Hauptdarsteller. Während Steven Yeun dem westlichen Publikum durch The Walking Dead und einige Filme (Okja, Mayhem) etwas sagen könnte, sind die beiden anderen hierzulande recht unbekannt. Vor allem Jong-seo Jeon, die hier ihre erste nennenswerte Rolle hat, empfiehlt sich mit ihrer gleichermaßen offen-lebendigen und undurchschaubaren Art für Größeres. Die Wartezeit auf etwas Neues von Lee wird ohnehin unerträglich sein, wie lange sie am Ende dann auch ausfallen mag.
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