Inzwischen hat Netflix ja auch das treue Anime-Klientel fest im Griff, beschert diesem alle paar Wochen Nachschub in Formen von Filmen und Serien. Über die Qualität lässt sich im einzelnen streiten, auf ihre Weise interessant sind die Werke aber schon. So durften wir uns dieses Jahr beispielsweise über die stylische Dämonenschau Devilman Crybaby, das visuell bezaubernde Abenteuer Die Walkinder – Staffel 1 oder die CGI-Neuinterpretation Godzilla: Eine Stadt am Rande der Schlacht freuen.
Und auch Flavors of Youth ist auf seine Weise interessant. Nicht nur, dass es hier Nachschub von CoMix Wave Films gibt, jenem Animestudio, das kürzlich mit Your Name einen Welterfolg landete. Zudem handelt es sich um eine rare chinesisch-japanische Coproduktion. Daran dürfte der obige Film von Makoto Shinkai nicht ganz schuldlos sein. Schließlich spielte der im Reich der Mitte über 80 Millionen Dollar ein, was ihn zum mit Abstand erfolgreichsten japanischen Film dort macht. Eine Zeit lang führte er in China sogar die Liste der erfolgreichsten Werke abseits von den Eigenproduktionen und solchen aus Hollywood an. Und ein solcher Markt muss doch gefüttert werden.
Erinnerungen gehen durch den Magen
In Die Reisnudeln, der ersten von drei Geschichten, die Flavors of Youth erzählt, geht es dann auch gleich ums Essen. Genauer folgen wir hier einem jungen Mann, der der Arbeit wegen nach Peking gezogen ist. Dort haben ihn Alltag und Hektik längst in Beschlag genommen, sein einstiges Leben in der Provinz ist praktisch vergessen. Bis er eine Portion Sian-Xiang-Nudeln isst, die Erinnerungen an seine Jugend wecken. Denn die hat er immer wieder gegessen, mit der Großmutter, später allein, bei verschiedenen kleinen Imbissen. Der Wandel der Zeit wird so anhand der sich ändernden Nudeln deutlich gemacht. Das ist leise, nett, eine Aufmunterung, sich an das Wesentliche zu halten und zu wissen, wo man herkommt. Inhaltlich ist der Einstieg aber schon ziemlich dünn, umso mehr, da wir über den Protagonisten nie etwas erfahren. Zudem wird das einfache Leben nicht gerade subtil idealisiert, indem idyllische Kleinstadtbilder als Kontrast zum grauen Wolkenbruch-Peking aufgebaut werden.
Ein bisschen mehr wird in Eine kleine Modenschau geboten. Episode Nummer zwei stellt uns zwei Schwestern vor, die ihr Leben miteinander teilen. Die ältere arbeitet als Model, ist als solches auch durchaus gefragt. Die jüngere ist voller Bewunderung und träumt davon, einmal Modedesignerin zu werden – ohne das ihrer Schwester zu verraten. Das Publikum erwartet hier daher eine Mischung aus Familiendrama und Porträt einer rücksichtslosen Modebranche. Das ist ein bisschen ambitionierter, zumal auch weniger schöne Aspekte einer auf Schönheit ausgerichteten Industrie angesprochen werden. Es wird aber mit diversen Klischees hantiert, was die Geschichte recht austauschbar macht – Zeit und Ort spielen hier keine Rolle.
Romantische Verneigung vor dem Vorbild
Auch Liebe in Shanghai ist eigentlich recht universell. Ähnlich zu Die Reisnudeln weckt hier ein Zufall – diesmal ist es eine alte Kassette, die bim Umzug gefunden wird – Erinnerungen an die eigene Jugend. Das geht erneut mit Kontrasten einher, Sonnenstrahlen in der Kindheit, Nachtaufnahmen als Erwachsener, einer Idealisierung der Einfachheit. Denn davon ist dem Protagonisten nichts geblieben, der sich so sehr in seine Arbeit stürzt, dass er alles andere vergessen hat. Dabei hätte das alles ganz anders laufen können, wenn er und seine Jugendliebe nur damals offen mit ihren Gefühlen umgegangen wären. Liebe in Shanghai war als Hommage an Shinakis 5 Centimeters per Second gedacht, ist auch die Geschichte, die dem Vorbild am meisten ähnelt. Teilweise ist der Abschluss der Anthologie ganz schön, gerade auch für etwas nostalgischer veranlagte Zuschauer. Aber auch hier finden sich reichlich Klischees, zum Ende hin auch melodramatischer Kitsch.
Wer sich angesichts der Beteiligung von CoMix Wave Films eine ähnliche Qualität wie die von Shinkais eigenen Werken erhofft, der wird daher enttäuscht sein. Visuell ist Flavors of Youth durchaus ansehnlich, die Zusammenarbeit mit dem chinesischen Animationsstudio Haoliners Animation League bringt einige schöne Bilder hervor, hat jedoch nur wenig Substanz. Der Vergleich mit den experimentierfreudigeren Animeanthologien wie Memories oder Manie Manie – Labyrinth-Geschichten braucht man erst gar nicht zu bemühen, dafür ist die chinesisch-japanische Variante zu sehr im Alltag verhaftet. Auch das kann schön sein, sympathisch ist es ohnehin, wenn hier der Animationsnachwuchs mal ran darf. Es fehlt jedoch eine eigene Handschrift, durch die sich die drei Regisseure wirklich ein Empfehlungsschreiben für zukünftige Arbeiten ausstellen könnten, eine individuelle Vision, die aus Flavors of Youth mehr macht als hübsch anzusehende Banalitäten.
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