Für Patty (Debby Ryan) gab es in ihrem Leben immer nur drei Dinge, die ihr wichtig waren: ihre beste und einzige Freundin Nonnie (Kimmy Shields), ihr großes Idol Drew Barrymore und Essen. Gerade Letzteres wird ihr häufig zum Verhängnis, wenn sie mal wieder von den anderen als Fatty Patty verhöhnt wird. Der unglückliche Zwischenfall auf einem Parkplatz führt jedoch dazu, dass sie in Folge jede Menge Gewicht verliert. Ein neues Leben scheint nun auf sie zu warten, umso mehr, als sie den Anwalt Bob Armstrong (Dallas Roberts) kennenlernt. Denn der will sie für künftige Misswahlen coachen. Dabei ist die zuvor belächelte Patty sogar erstaunlich erfolgreich, endlich wird auch sie einmal bewundert! Sehr viel einfacher ist ihr Leben dadurch aber nicht geworden. Im Gegenteil: Alles hat seinen Preis, wie sie schon bald feststellen muss.
Schon jetzt ist das Sortiment des Streaminganbieters Netflix kaum zu meistern. Und das ist erst der Anfang: Jede Woche kommen neue Serien hinzu, neue Staffeln, neue Filme, neue Dokumentationen. Dass bei einem solchen Überangebot viele Neustarts unbemerkt bleiben, sie in der Flut untergehen, das ist da kein Wunder. Insofern dürften die Amerikaner ganz dankbar gewesen sein, als Insatiable im Vorfeld so werbewirksam unter Kritik stand, sogar die Absetzung der Serie gefordert wurde, noch bevor sie an den Start ging. Der Grund: Erzählt wird die Geschichte eines jungen Menschen, der wegen Übergewichts zum Außenseiter wird und erst als Schlanker Akzeptanz findet. Vorbildfunktion hat so etwas weniger, „Fat shaming“ sagt man dazu, wenn Dicke sich ihrer Leibesfülle wegen schämen sollen.
Schönheit liegt im Auge des Betrachters
Die Serie selbst ist jedoch ganz anders, als es die Vorabkritiken vermuten ließen. Insatiable ist nicht die Geschichte des fetten Entleins, das zum wunderschönen Schwan wird. Denn äußerliche Schönheit ist nur ein Aspekt, wie hier immer wieder betont wird. Es kommt auch auf die inneren Werte an. In Hollywood geht so etwas meist Hand in Hand, herzensgute Aschenputtel-Geschichten sollen das junge Zielpublikum träumen lassen: Auch du kannst eine Prinzessin sein! Das funktioniert hier nicht. Denn auch wenn Miss-Wahlen natürlich mit diesem Bedürfnis spielen, oft auf zynische Weise: Patty ist keine Prinzessin. Sie ist nicht einmal ein besonders guter Mensch.
Damit wiederum ist sie in bester Gesellschaft. Von Nonnie einmal abgesehen, zu einem Teil auch Pattys Schwarm Brick (Michael Provost), sind gute Menschen auffallend abwesend in Insatiable. Hin und wieder entdeckt mal jemand eine nette Seite an sich. Wenn Bob seinem Schützling hilft, kann das durchaus manchmal auch ohne opportunistischen Hintergedanken sein. Aber es ist eher die Ausnahme: Die Serie erzählt von einer Ansammlung meist sehr egoistischer Individuen, die im passenden Moment keine Skrupel kennen. Lug und Betrug ist dabei, Manipulation, Diebstahl und Körperverletzung – die Skala kennt nach oben kein Ende.
Das spaßige Austesten von Grenzen
Tatsächlich liegt ein Teil des Reizes von Insatiable darin, dass man vergleichbar zum Netflix-Kollegen Good Girls sehen will, wie weit die Protagonisten gehen werden. Wo persönliche Schmerzgrenzen liegen, sofern es sie denn überhaupt gibt. Von einer reinen Rachegeschichte ist die Serie dennoch weit entfernt, auch wenn sie im Vorfeld als solche verkauft wurde. Rache spielt eine Rolle, für mehrere der Figuren. Aber er ist nur einer von diversen niederen Instinkten, die sich hier ihren Weg bahnen, auf die eine oder andere Weise. Das kann albern sein, absurd, regelrecht bizarr und absolut hässlich.
Was Insatiable bei diesen moralischen Amokläufen fehlt, ist eine klar erkennbare Richtung. Immer wieder spricht die Serie wichtige Themen an, wie eben die Wichtigkeit, sich in einer Haut wohlzufühlen – einer der rührendsten Momente ist, wenn die erschlankte Patty sich mit einer Transsexuellen darüber austauscht, in einem ungeliebten Körper zu stecken. Auch eine Szene, in der Patty wieder alten Gewohnheiten zum Opfer fällt, hinterlässt Eindruck. Doch schon in der nächsten kann das wieder zu den Akten gelegt werden, keines der Elemente wird je nennenswert vertieft. Eine richtige Wirkung erzielen diese positiven Ansätze aber auch deshalb schon nicht, weil kaum ein Charakter hier wirklich real wirkt. Von Beginn an sind die meisten überzogen, zu Karikaturen verkrümmt, bis an die Schmerzgrenze und darüber hinaus. Was also eine Diskussionsgrundlage zu gesellschaftlich wichtigen Themen hätte sein können, will lieber abwechselnd unterhalten und schockieren. Beides gelingt, zumindest phasenweise, wirklich schlau wird man aus dieser chaotischen Mischung von schwarzem Humor und Seifenoper-Belanglosigkeit aber kaum.
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