Wenn es nach Luce (Elina Löwensohn) ginge, sie würde einfach nur das Leben genießen, ein bisschen Zweisamkeit mit ihrem Liebhaber Bernier (Marc Barbe), zwischendurch ein wenig malen. Aber das Schicksal hatte etwas anderes mit ihnen vor. Als wäre es nicht schon irritierend genug, dass der Gangster Rhino (Stéphane Ferrara) und seine Bande es sich bei ihnen in einer Burgruine auf Korsika gemütlich machen, tauchen kurze Zeit später auch noch Berniers Frau (Dorylia Calmel) plus Anhang auf. Als sich zu guter Letzt zwei Polizisten dazugesellen, die Rhino und die von ihm erbeuteten 250 Kilogramm Gold einsacken wollen, war es das mit dem Frieden.
Wenn das französische Filmemacherpaar Hélène Cattet und Bruno Forzani ein neues Werk präsentiert, dann freuen sich vor allem die Liebhaber alter Genrewerke: Das verheiratete Regie- und Drehbuchduo sieht sich selbst offensichtlich in erster Linie als Bewahrer der blutigen Künste. In ihren ersten beiden Spielfilmen Amer (2009) und The Strange Colour of your Body’s Tears – Der Tod weint rote Tränen (2013) standen dabei die italienischen Horrorfilme aus den 1970ern Pate, die unter dem Begriff Giallo Kultstatus erlangten: mysteriös, brutal, erotisch.
Besuch bei alten Freunden
Bei Werk Nummer drei, das auf dem Locarno Film Festival 2017 Weltpremiere feierte, bleiben sie zwar Bella Italia treu. Aber es sind eher die dortigen Western, welche die zwei inspiriert haben. Da sind manche vertrauten Klänge zu hören, beispielsweise von Altmeister Ennio Morricone, die in Leichen unter brennender Sonne ebenso geborgt werden wie Bilder oder Einstellungen. Und auch der Inhalt ist wie aus dem einst uramerikanischen Genre geschnitten. Wo die Klassiker damals aber noch mühselig ihre Showdowns vorbereiteten, fangen Cattet und Forzani praktisch mittendrin an. Knapp 90 Minuten lang wird aufeinander geschossen, von jedem Ort aus, in allen möglichen Blickwinkeln.
Das ein Jahr zuvor gestartete Free Fire hatte etwas ganz ähnliches getan, als eine Lagerhalle zum Schauplatz eines spielfilmlangen Schusswechsels der unterschiedlichsten Parteien wurde. Während der Spaß dort aber in erster Linie den Interaktionen der sehr ausgeprägten Figuren geschuldet war, hatten die Franzosen daran so gar kein Interesse. Bei einigen erfahren wir die Namen, bei anderen nicht einmal das. Sie sind da, in der gleißenden Sonne, es gibt Knarren und Gold, mehr brauchen die gefeierten Filmemacher nicht, mehr wollen sie nicht.
Ein kunstvolles Nichts
Doch trotz dieses Minimalismus, der für Charaktere oder einen wirklichen Inhalt nichts übrig hat, Leichen unter brennender Sonne ist kein billig zusammengeschustertes Gemetzel. Vielmehr handelt es sich um eine der kunstvollsten Zitatesammlungen, die man sich vorstellen kann. Oder eben auch nicht vorstellen kann, denn der Shootout ähnelt oft mehr einem Traum als einem Film. Einer jedoch, der keiner spontanen Traumlogik folgt, sondern mühselig konstruiert wurde. Allein das Sound Design nahm mehrere Monate Zeit in Anspruch, die stylischen Bilder, ebenfalls grobkörnigen Vorläufern nachempfunden, lassen keinen Platz für Zufall, sind Ausdruck von Fleiß, nicht ungehemmter Leidenschaft.
Trotz der brennenden Sonne und der hitzigen Schusswechsel: Der Beitrag der Fantasy Filmfest White Nights 2018 hat immer etwas Unterkühltes an sich, etwas Berechnetes. Etwas, das man bewundern kann, ohne jeden Zweifel, das aber weniger mitreißend ist. Wie viel man Leichen unter brennender Sonne abgewinnen kann, hängt daher stark von den eigenen Bedürfnissen ab. Wer Filme als ein primär narratives Medium auffasst, das eben auch eine Geschichte und Figuren braucht, der wird hier nach einiger Weile gelangweilt oder verärgert sein. Trotz einiger aus mehreren Blickwinkeln erzählter Szenen: Große erzählerische Ambitionen werden hier nicht gepflegt. Audiovisuell ist die blutige Begegnung in einer Bergruine jedoch ein Fest, von einer Detailverliebtheit erfüllt, die ihresgleichen sucht und die man so oder so kaum mehr vergisst – egal ob die Begegnung nun mit positiven oder negativen Eindrücken verbunden ist.
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