Sicher, sie war alt, angekündigt hat es sich auch schon länger. Dennoch bricht für Qiu Huiying (Sylvia Chang) eine Welt zusammen, als ihre Mutter stirbt. Immerhin, jetzt kann sie wieder mit ihrem Mann sein, der einige Jahre zuvor bereits verstorben war. Das hat sie sich schließlich immer gewünscht. Die Sache hat nur einen Haken: Qius Vater wurde in dessen Heimatdorf auf einem Feld begraben. Die sterblichen Überreste müssten also wieder ausgegraben und in die Stadt gebracht werden. Das wiederum will Nanna (Yanshu Wu) nicht zulassen, die erste Frau des Verstorbenen, die er damals zurückließ, als er in die Stadt zog, und die sich die letzten Jahre um das Grab gekümmert hat. Während Qiu und Nanna sich einen erbitterten Kampf darum liefern, wer den Toten bekommt, hat Tochter Weiwei (Yueting Lang) ganz eigene Konflikte und Ziele.
Im Bereich der Unterhaltung gibt es nur wenig, was Sylvia Chang nicht schon einmal ausprobiert hat. Am bekanntesten ist die Taiwanesin natürlich als Schauspielerin, seit ihrem Debüt 1973 hat sie für rund 100 Filme vor der Kamera gestanden. Hinzu kommen einige Alben, die sie im Laufe der Zeit aufgenommen hat. Chang ist aber auch eine der wenigen, die sich in der von Männern dominierten Filmindustrie auch als Regisseurin und Drehbuchautorin einen Namen gemacht hat. Daran hat sich mit Mitte 60 nichts geändert, wie Love Education beweist. Das Generationendrama, das sie inszeniert und mitgeschrieben hat und dessen Hauptrolle sie übernahm, war in Asien bei einer ganzen Reihe größerer Filmpreise im Rennen.
Die komischen Folgen des Todes
Die Stärke des Werks wird dabei zunächst nicht ersichtlich, gerade auch, weil einen der Film auf eine falsche Fährte führt. Sicher, der Tod eines geliebten Menschen ist traurig. Love Education ist es jedoch nicht, zumindest nicht am Anfang. Wenn Qiu und Nanna um das Grab kämpfen, ist das wörtlicher, als man vermuten würde. Und es ist vor allem lustiger, dem Slapstick näher als einem Familiendrama. Wenn dann auch noch Weiweis Kollegen vom Fernsehen von der Geschichte Wind bekommen, meint man endgültig, sich eigentlich eine Farce anzuschauen.
Doch der Eindruck trügt. Chan baut zwar auch an späteren Stellen immer wieder Humor ein, verschiebt dabei jedoch nach und nach den Fokus. Die kleinen Seitenhiebe auf bürokratische Spießrutenläufe – beide Parteien wollen schließlich beweisen, dass sie ein Anrecht auf den Leichnam haben –, verknüpft sie geschickt mit ganz grundsätzlichen Überlegungen über die Natur von Liebe. Dass die oft ein wenig komplizierter sein kann, das wissen wir alle. In Love Education noch ein wenig mehr, da der Film auch von sich wandelnden Werten handelt: Heirat aus Liebe vs. Heirat aus Pflicht. Wer bestimmt, wen wir lieben dürfen und wen nicht? Und was genau bedeutet Liebe eigentlich? Was macht eine Familie aus?
Die Ruhe nach dem Streit
So unterhaltsam es ist, wenn sich die beiden älteren Damen anfangs bekriegen, auch der sehr konträren Persönlichkeiten wegen: Qiu ist bestimmend und aufbrausend, Nanna sagt kein Wort. Ihre Qualitäten als Schauspielerin demonstrieren die zwei Veteraninnen vor allem im späteren Verlauf, wenn Love Education nachdenklicher wird, leiser, versöhnlicher. Wenn die maximale Konfrontation dazu führt, dass alle sich mit ihrem Leben auseinandersetzen, mit Schwächen, mit Ansichten, an die sie sich vielleicht schon zu lange festgekrallt haben.
Die ganz großen Erkenntnisse bringt der Film dabei nicht mit sich, vermeidet auch zu starke Kontroversen, am Ende sollen sich die Protagonistinnen ebenso wie das Publikum schließlich wieder wohl in ihrer Haut fühlen. Da braucht es dann schon einen Konsens. Aber es ist ein schöner Konsens, den uns der Beitrag vom Chinesischen Filmfest München 2018 da zeigt, zwischen guter Unterhaltung und Rührung, getragen von starken Schauspierinnen. Wer die Gelegenheit hat, sich Love Education dort anzuschauen und sich für leise Alltagsgeschichten mit kuriosem Einschlag erwärmen kann, sollte die Chance nicht ungenutzt lassen. Ein regulärer Deutschlandstart ist derzeit nämlich leider nicht in Sicht.
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