Das Verhältnis zwischen David Kim (John Cho) und seiner 16-jährigen Tochter Margot (Michelle La) könnte besser nicht sein, auch weil der Schmerz um die verstorbene Mutter sie zusammengeschweißt hat. Sicher, hin und wieder bekommen sie sich in die Haare, beim Abfall beispielsweise. Ansonsten aber ist das Zusammenleben sehr harmonisch. Deswegen ist David auch sofort klar, dass etwas vorgefallen sein muss, als Margot eines Nachts plötzlich verschwindet. Während die ermittelnde Detective Rosemary Vick (Debra Messing) von einer normalen Ausreißerin ausgeht, lässt David nichts unversucht, um die fragliche Nacht zu rekonstruieren – und muss dabei feststellen, dass er seine Tochter sehr viel weniger kannte als gedacht.
Ein junges Mädchen verschwindet spurlos, der Vater unternimmt alles, um sie wiederzufinden, weil das mit der Polizei irgendwie alles nichts bringt. Das ist kein besonders schönes Szenario, zumindest als Betroffener. Als Vorlage für einen Thriller funktioniert es aber, wird gerne immer mal wieder ausgegraben, um dem verbrechensdurstigen Publikum eine Identifikationsfigur mit auf den Weg zu geben. Hey, der da könnte ich sein! Die Netflix-Serie Safe hat dieses Jahr beispielsweise eine ganz ähnliche Geschichte erzählt. Prisoners machte daraus ein moralisch schmerzlich ambivalentes Drama.
Klassische Geschichte mit moderner Optik
Um sich von Titeln wie oben abzuheben, ließ sich Regisseur und Co-Autor Aneesh Chaganty hier ein bisschen was einfallen. Am auffälligsten bei seinem Spielfilmdebüt ist dabei natürlich die Optik. Im Stile von Unknown User oder Open Windows spielt sich auch Searching fast ausschließlich auf der Benutzeroberfläche eines Computers ab. Hin und wieder wird ein bisschen variiert, werden Überwachungskameras hinzugezogen, Fernsehaufnahmen oder auch Handybilder. Es bleibt jedoch dabei, dass wir David und die anderen immer nur durch solche Schnipsel sehen, wie ein Guckloch, durch das wir einen Einblick in sein Leben erhalten.
Aber auch inhaltlich hebt sich Searching, das auf dem Sundance Film Festival 2018 Premiere feierte, von der Konkurrenz ab. Von den ersten Szenen an, in denen wir mitansehen müssen, wie Davids Frau den Kampf gegen den Krebs verliert, ist klar, dass Chaganty einen größeren Fokus auf seine Figuren legt. Zumindest an der Stelle zeigen die speziellen Blickwinkel, dass sie mehr sind als reine Gimmicks. So schnell wie hier sind uns Charaktere nur selten ans Herz gewachsen, wurde uns das Herz gleichzeitig gebrochen.
Starke Figuren, schwacher Fall
Auch im Anschluss überzeugt Searching vor allem dann, wenn sich der Film auf David und Margot konzentriert. Wenn sich der alleinerziehende Vater auf die Suche nach seiner Tochter begibt, dann bedeutet das eben nicht nur, Spuren nachzugehen und nach Verdächtigen Ausschau zu halten. Es bedeutet auch, erkennen zu müssen, die eigene Tochter sehr viel weniger zu kennen als gedacht. Der Thriller wird so des Öfteren zu einem Familiendrama, das von Entfremdung und Einsamkeit erzählt, von Menschen, die im Alltag nicht mehr zueinanderfinden. Ganze nebenbei schneidet das Werk so auch deutlich universellere, gesellschaftlich relevante Themen an – Stichwort soziale Netzwerke.
Während die dramatischen Elemente überzeugen, gerade auch durch eine starke One-Man-Show von John Cho, ist der eigentliche Thriller eher durchwachsen. Die diversen falschen Fährten und Wendungen gehen dabei grundsätzlich in Ordnung, sind aber recht plump umgesetzt. An manchen Stellen ist David erstaunlich einfallsreich und effizient, an anderen dafür sehr umständlich. An den Stellen verkommt Searching zu einer reinen Pflichtübung, der das Ziel deutlich wichtiger ist als der Weg dorthin. Oder auch Plausibilität. Diese gelegentlichen Schwächen lassen sich aber recht leicht verschmerzen, dem Film gelingt es gerade durch die starke Figurenzeichnung, dass man hier stärker mitfiebert als bei so manchem reinen Thriller.
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