Es ist ein Sommer wie jeder andere auch, wie alle davor, wie alle, die noch kommen werden. Zumindest aus der Sicht von Xiaolei Zhang (Weiyi Kong) ist das so. Der Alltag des 12-Jährigen ist irgendwo zwischen Müßiggang und Träumerei, die Tage füllt er mit seinen Freunden beim Herumgammeln oder auch mit dem Anstarren hübscher Mädchen. Seine Mutter (Yanyuan Guo) ist nicht ganz so angetan von dem süßen Nichtstun, steht doch jetzt der Ernst des Lebens an: Er soll auf einer guten Schule landen, mehr aus sich machen. Xiaoleis Vater (Chen Zhang) hat derweil andere Sorgen: China ist dabei, sich nach und nach von Staatsunternehmen zu trennen, darunter auch das Filmstudio, in dem er arbeitet.
Der Sommer ist nicht nur die Zeit von hohen Temperaturen, von Eisschleckereien, Freibädern und Wespenplagen. Der Sommer ist traditionell auch immer eine Zeit der Zwischenzeit, eine Zeit, in der sie selbst stillsteht, während Schulen geschlossen sind, die Menschen in Urlaub fahren, vieles ein bisschen langsamer ist als sonst. Eine Zeit, die wie gemacht ist für junge Protagonisten in Filmen, um die Welt da draußen zu entdecken, sich selbst zu entdecken, noch einmal Kraft tanken, bevor im Herbst der nächste Schritt ins Erwachsenenalter wartet. Stand by Me – Das Geheimnis eines Sommers beispielsweise, einer der großen Klassiker aus dem Stephen-King–Fundus, erzählt davon, wie eine Gruppe von Kindern zusammenwächst, bedrängt von einer seltsamen Leiche und quälenden Jugendlichen.
Fernab der Außenwelt
Ein Bully taucht auch in The Summer Is Gone auf, hinterlässt Eindruck bei dem jungen Xiaolei, und verschwindet doch wieder in einem Meer aus Erinnerungen. Vieles von dem, was um den Protagonisten herum passiert, nimmt er nicht so recht wahr. Die Probleme seines Vaters beispielsweise. Vielleicht weil er sich nicht so recht dafür interessiert. Vielleicht weil er auch einfach nur zu jung ist, um die ganze Tragweite zu begreifen. Die Welt da draußen, sie ist noch zu groß, zu fremd, zu kompliziert auch.
Ähnlich zu The Looming Storm dieses Jahr zeigt auch The Summer Is Gone ein China im Wandel, erzählt von Unternehmen und Strukturen, für die es keinen Platz mehr gibt. Wo der Kollege dieses Umfeld jetzt in einen von bedrohlichen Regenwolken verhangenen Thriller packte, da sind in dem Coming-of-Age-Drama Wolken höchstens zu erahnen. Wortwörtlich: Die idyllischen Aufnahmen, komplett in Schwarzweiß gehalten, zeigen einen ländlichen Sommer voller kleiner bezaubernder Momente, unschuldiger Momente.
Die Sehnsucht nach einer vergangenen Zeit
Es ist ein nostalgischer Blick zurück auf eine Zeit, in der sich alles verändern sollte. Ein liebevoller Blick. Ein wehmütiger Blick auch: Wenn Xiaolei mit seinem Vater zusammensitzt, sie sich Filme aus aller Welt anschauen, dann schwingt da auch immer das Gefühl von Verlust mit. Eine Sehnsucht, die sich Erinnerungen hingibt an ein China, das es so nicht mehr gibt. An eine Heimat, für die es keinen Platz mehr gab. Hektik, Effizienz, Wettstreit, Disziplin – das sind Fremdwörter hier.
Natürlich ist das ein wenig idealisiert, Regisseur und Drehbuchautor Dalei Zhang droht in seinem Spielfilmdebüt manchmal in banale Heilewelt-Schwärmereien abzudriften. Doch er bekommt jedes Mal die Kurve. The Summer Is Gone, das 2017 auf dem Filmfest München lief und im Herbst 2018 noch einmal das Chinesische Filmfest München beehren wird, ist ein schönes, leises Drama, das gleichermaßen etwas fürs Herz wie fürs Auge bietet: Der 1990 angesiedelte Film gefällt nicht nur durch seine wunderbare Beiläufigkeit, sondern auch eine Ausstattung, die zusammen mit den Schwarzweißbildern zu einer kleinen Zeitreise einlädt.
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