Interesse am Fliegen, die hatte Neil Armstrong (Ryan Gosling) schon immer. Dennoch hatte er sich keine großen Hoffnungen gemacht, als er sich als einer der wenigen Zivilisten für das Raumfahrtprogramm der NASA bewarb. Doch das Schicksal meint es gut mit ihm. Nicht nur, dass er tatsächlich aufgenommen wird, bald schon gehört er zu den wichtigsten Männern dort. Seine Frau Janet (Claire Foy) ist jedoch weniger begeistert darüber, was dies für sie und die Kinder bedeutet. Vor allem die wachsenden Gefahren des Programms sind eine schwere Belastung für sie, besonders als der Höhepunkt ansteht: der Flug zum Mond.
Gemischt waren die Gefühle, als bekannt wurde, worüber Damien Chazelle einen Film dreht. Ausgerechnet der Regisseur, der mit Whiplash und La La Land zwei Oden an die Musik und die Kunst im allgemeinen geschaffen hatte, wandte sich der Raumfahrt zu. Genauer Neil Armstrong, der 1969 als erster Mensch den Mond betreten hatte. Die emotional-irrationale Welt der Musik macht der nüchternen Naturwissenschaft Platz – das war nicht unbedingt das, was man sich von dem US-amerikanischen Wunderkind erwartet, vielleicht auch erhofft hatte.
Ein Traum kann viele Formen annehmen
Glücklicherweise zeigt der erst 33-jährige Ausnahmeregisseur bei seinem nunmehr vierten Langfilm – auch sein Debüt 2009 (Guy and Madeline on a Park Bench) war ein Musical –, dass er thematisch nicht so festgefahren ist, wie er uns bisher glauben ließ. Zumal First Man doch mehr Gemeinsamkeiten zu den Vorgängern hat, als man im Vorfeld vermutet hätte. Denn es geht hier nur zum Teil um die Technik, die es der NASA seinerzeit erlaubte, nach den Sternen zu greifen. Vielmehr folgen wir hier einem Träumer, der seinen Blick immer in Richtung Himmel lenkt – selbst dann, wenn um ihn herum alles in Flammen steht.
Der Grund: Auch Armstrong brannte lichterloh. Basierend auf der erfolgreichen Biografie First Man: The Life of Neil A. Armstrong von James R. Hansen führt uns Chazelle vor Augen, wie ein früheres Trauma des Piloten sein späteres Leben prägte. Das mag etwas vereinfacht sein, erklärt auch nur unzureichend die charakterlichen Schwächen des Mannes, der den eigenen Tod nicht fürchtete, aber nicht in der Lage war, das Thema überhaupt in den Mund zu nehmen. Andererseits ist ein solcher undurchsichtiger Schweiger mit dunklen Hinterhöfen aber wie gemacht für Ryan Gosling, der ganz gerne mal für diese Art Figur herangezogen wird.
Was macht einen Mann zum Helden?
Und es ist so oder so bemerkenswert, wie sehr Chazelle und sein Drehbuchautor Josh Singer (Spotlight, Die Verlegerin) an der Oberfläche des großen amerikanischen Helden kratzen, uns einen verwundbaren, ziemlich kaputten Menschen zeigen, der so gar nicht für das Scheinwerferlicht geeignet ist. Umso stärker ist der Kontrast zu den schönen Momenten in seinem Leben: Wenn Armstrong und seine Familie einen Alltag feiern, den sie zu selten kennen, dann ist das so mitreißend, wie wir es in Chazelles vorangegangenem Musical lieben gelernt haben, begleitet von einer herumwirbelnden Kamera, die das Licht und die Wärme mit uns teilt, beim Herumtollen im Haus, im Pool. Dann wenn die Armstrongs einfach nur die Armstrongs sein dürfen, eine Familie unter vielen.
Ohnehin sind die Bilder wieder grandios geworden. Die beklemmenden bis klaustrophobischen Momente in der Raumkapsel, die einen am gesunden Menschenverstand zweifeln lassen. Die kindliche Befreiung, wenn auf dem Mond mit einem einfachen Schritt die Last vieler von den Schultern fällt. Denn auch das zeigt Aufbruch zum Mond, das die Filmfestspiele von Venedig 2018 eröffnet hat: Der Weg zu unserem Trabanten war schwer, hat viel gekostet, finanziell, aber auch persönlich. So viel, dass der Film – bemerkenswert unpatriotisch – diese Errungenschaft zwischendurch mehrfach in Frage stellt. War es das Ganze wert? Wie in La La Land und Whiplash ist die Antwort nicht wirklich eindeutig, die beide ebenfalls den Kampf um Träume in Frage stellen, jeder Triumph gleichzeitig auch Verlust bedeutet. Wie die Antwort auf den schwierigen Balanceakt lautet, darüber ließe sich streiten. Andererseits wären wir ohne dieses historische Ereignis um einen Film ärmer, der ebenso spannend von dem im Rückblick wahnsinnigen Wettlauf ins All wie auch von den Menschen berichtet, die bei diesem Wettlauf dabei waren. Und das wäre dann schon schade.
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