City of Joy
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City of Joy
„City of Joy“ // Deutschland-Start: 7. September 2018 (Netflix)

Es ist eine Szene, die erst kurios klingt, vielleicht sogar komisch, bevor man dessen volle Tragik begreift. Christine Schuler Deschryver erzählt darin, wie ein kleines Mädchen sie um ihre langen Beine bewunderte. Nicht jedoch aus ästhetischen Gründen, weil sie lange Beine so schön findet. Vielmehr wäre sie dann in der Lage, immer davonzulaufen. Es gibt viele Gründe, warum Mädchen in der Demokratischen Republik Kongo davonlaufen sollten, warum Frauen davonlaufen sollten. Denn kaum ein Ort mutet ihnen mehr zu, ist gefährlicher als der zentralafrikanische Staat. Wen schon die Enthüllungen aus Hollywood als Folge von #MeToo schockierten, der sollte sich auf den erschreckenden Ausblick gefasst machen, dass es noch viel schlimmer geht.

Offiziell hat das Land viele Fortschritte gemacht. Offiziell sind die Bürgerkriege, die seit 1996 Millionen von Menschen das Leben kosteten, vorbei. Im Osten des Landes merkt man jedoch recht wenig davon, die bewaffneten Konflikte gehen dort unbeirrt weiter. Die Netflix-Doku City of Joy handelt jedoch weniger von den Kriegen, interessiert sich nur bedingt für deren Ursachen. Der Kampf um die wertvollen Rohstoffe, die den Kongo theoretisch zu einem der reichsten Länder der Erde machen sollten, wird erwähnt. Im Mittelpunkt steht aber etwas anderes.

Ein großes Problem, von dem niemand wissen will
Wie viele Frauen im Laufe der Jahre dort vergewaltigt wurden, kann keiner mehr sagen, zu sehr sind sie Routine geworden, zu sehr sind sie Kriegswaffe. Eine Studie besagte einmal, dass 39 Prozent aller Frauen in dem Land Opfer einer Vergewaltigung werden. Das ist ebenso verstörend wie die Gleichgültigkeit gegenüber diesen Frauen, die von keiner Seite Hilfe erwarten können. Außer sie helfen sich gegenseitig. City of Joy stellt dem Publikum genau einen solchen Hilfeversuch vor, indem der Film uns mitnimmt in das gleichnamige Zentrum, wo Betroffene wieder zu sich finden können.

Die Bürgerrechtlerin Deschryver ist eine der Gallionsfiguren des Projekts. Aber auch Eve Ensler, Autorin von Die Vagina Dialoge, und der Arzt Dr Denis Mukwege versuchen auf ihre Weise, den Frauen wieder zurück ins Leben zu helfen. Letzterer beispielsweise indem er Tausende von Operationen durchführt. Viele Vergewaltigungen haben die Opfer zerstört zurückgelassen, großen Schaden an den Körpern hinterlassen. Schaden, den der Mediziner rückgängig zu machen versucht oder zumindest verringern will.

Wieder zurück ins Leben
Doch City of Joy handelt auch von der seelischen Heilung der Frauen. Der seelischen Stärkung. Wer an diesen Ort kommt, der erhält die Möglichkeit, wieder zu Kräften zu kommen, aber auch Kurse zu besuchen, die von Landwirtschaft über Selbstverteidigung bis zu Sprachunterricht alles enthalten. Das Ziel ist es, die ehemaligen Opfer zu Anführerinnen zu machen und so auch nachhaltig die Situation zu verbessern. Sind sie Frauen stärker und übernehmen sie mehr Führungspositionen, dann steigen die Chancen, dass anderen ihr Schicksal erspart bleibt – so die Theorie.

Ob die Idee aufgeht oder nicht, das wird aus der Dokumentation nicht ersichtlich. Eine wirkliche Umwälzung der Gesellschaft wird wenn wohl nur als Langzeitprojekt möglich sein. Wohl aber macht City of Joy Mut, dass sich etwas ändern kann, zumindest im Kleinen, dass es Wege aus der Gewaltspirale gibt. Zudem lenkt Regisseurin Madeleine Gavin den Blick auf Menschen, die unfassbares Leid ertragen mussten, ohne dass es jemanden interessierte. Die durch das Leid auch noch zu Ausgestoßenen wurden. Der Film erinnert an einen Konflikt, den die Welt bereits vergessen hat, obwohl sie indirekt durch den Abbau der Rohstoffe an diesem beteiligt ist.



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Ein Leben nach der Misshandlung: „City of Joy“ wirft einen Blick auf ein Zentrum im Ostkongo, in dem Tausende vergewaltigter Frauen heilen dürfen und für die Zukunft gestärkt werden. Der Dokumentarfilm ist dabei die erschütternde Erinnerung an einen vergessenen Konflikt, macht aber auch Mut, dass es zumindest im Kleinen Wege aus der Misere gibt.