Climax
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Climax
„Climax“ // Deutschland-Start: 6. Dezember 2018 (Kino) // 12. April 2019 (DVD/Blu-ray)

Die Castings haben sie hinter sich, seit einigen Tagen proben sie sogar schon miteinander. Nun steht der nächste Schritt für die zwei Dutzend jungen Tänzer und Tänzerinnen an: die Tournee in den USA. Doch vorher wollen sie noch einmal zusammen Spaß haben, eine kleine Abschiedsparty, bevor es ernst wird. Ernst wird es jedoch schon im Laufe des Abends. Während sie sich in einen Rausch tanzen, brechen zunehmend Konflikte hervor, unterdrückte Gefühle bahnen sich ihren Weg an die Oberfläche. Bis sie merken, woran es liegt: Jemand hat ihnen Drogen in die Bowle gemischt. Doch zu dem Zeitpunkt ist bereits alles zu spät, das Unglück nimmt längst seinen Lauf.

Wenn ein Film mit den Worten eingeleitet wird, das Publikum möge zwischendrin weder an sich noch an dem Filmvorführer zweifeln, das Folgende gehöre einfach so, dann weiß man bereits, dass einen etwas ganz Besonderes erwartet. Andererseits hätte dafür auch schon der Blick auf die Credits gereicht. Denn wenn der argentinisch-französische Regisseur Gaspar Noé zum cineastischen Tisch bittet, dann wird ja eigentlich immer etwas Eigenwilliges serviert, etwas Hartes mitunter auch – siehe Enter The Void oder Irreversibel.

Alles hat ein Ende … oder mehrere
Das gilt auch für das neueste Baby des kontroversen Filmemachers, das 2018 in der Nebenreihe Directors’ Fortnight in Cannes Premiere feierte und dieses Mal tatsächlich auch gefeiert wurde. Dabei ist der Einstieg eher verwirrend als begeisternd. Denn am Anfang steht das Ende, gewissermaßen, wenn wir mit Abschlusscredits beginnen, die zu dem besagten Vorsprechen übergehen, bei denen wir im Schnellverfahren die junge Tänzertruppe kennenlernen. Wobei das eigentliche Kennenlernen erst später stattfindet, sobald eben nicht mehr alles schön gesittet vonstattengeht.

Der erste Höhepunkt hat ohnehin nichts mit Sprache zu tun, sondern wenn die Darsteller das tun, was sie am besten können: tanzen. Für sich genommen ist jede einzelne Darbietung schon eine Augenweide, vereint Körperlichkeit mit Eleganz und Wildheit, Disziplin mit Freigeist. Doch erst in Kombination werden aus den vielen Einzelbewegungen ein Kunstwerk, für das man gar nicht genug Augen hat, um alle Details einfangen zu können. Alleine für diesen musikalisch aufgepumpten, in einem Take gedrehten Wirbelwind würde sich Climax lohnen. Und doch fängt der eigentliche Film erst danach an.

Ein Höhepunkt in vielerlei Hinsicht
Was folgt hat natürlich viel mit Sex und Begierden zu tun, über alle Geschlechter und Beziehungen hinweg, ist ja schließlich ein Film von Noé. Und doch bezieht sich Climax nicht zwangsweise auf den orgiastischen Höhepunkt. Denn mit fortlaufender Spielfilmlänge werden die Beziehungen direkter, ungehemmter, brutaler. Schon bevor wir erfahren, dass da etwas in die Getränke gemischt wurde, werden Abgründe in der von diffusem Licht beleuchteten Tanzfläche sichtbar. Danach gibt es ohnehin kein Halten mehr, kein inhaltliches Halten, kein visuelles Halten: Kameramann Benoît Debie (Spring Breakers) hebt die Gesetze der Schwerkraft auf, verweigert uns Orientierungspunkte, während sich um uns herum alles immer schneller dreht.

Das ist nicht für jeden eine begrüßenswerte Erfahrung. Wer von einem Film beispielsweise eine Geschichte verlangt, der wird weniger glücklich – trotz der vielen Einzelgeschichten, die immer wieder ihren Weg in die Tänze finden. Climax ist mehr eine Erfahrung als etwas, das sich in Handlung und Worten einfangen ließe. Zwischendurch lahmt der Beitrag vom Fantasy Filmfest 2018 ein wenig, wenn sich Einstellungen und Konfrontationen zu oft wiederholen, gerade im letzten Drittel. Doch das furios-anarchische Finale entschädigt für alles, lässt einen erleichtert und erschöpft zurück, voller Fragen und Eindrücke, existenzieller Gedankenfetzen und schmerzhafter Sinnlichkeit.



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Wenn in „Climax“ zwei Dutzend Tänzer und Tänzerinnen eine Höllennacht erleben, dann entzieht sich das den üblichen Kategorien eines Films. Es wird viel erzählt und nichts erzählt, künstlerische Rauschzustände wechseln sich mit individuellen Abgründen ab. Wer dafür empfänglich ist, sich öffnet für Filmerfahrungen, die über Geschichten hinausgehen, der wird diesen Ausflug auf die Tanzfläche so schnell nicht wieder vergessen.
8
von 10