Ashraf Marwan (Marwan Kenzari) kann tun, was er will, er bekommt einfach nicht die Anerkennung seines Schwiegervaters Gamal Abdel Nasser (Waleed Zuaiter). Denn der hält nicht viel von dem jungen Mann. Vor allem hält der ägyptische Präsident nichts davon, wenn in seinem Umfeld Menschen andere Meinungen vertreten, insbesondere die Politik betreffend. Doch trotz dieses angespannten Verhältnisses ist Marwan ein fester Bestandteil der politischen Führung, erst unter Nasser, später unter dessen Nachfolger Anwar Sadat (Sasson Gabai). Eine Position, die es ihm erlaubt, viele Staatsgeheimnisse in Erfahrung zu bringen und an den israelischen Agenten Danny Ben Aroya (Toby Kebbell) weiterzugeben, für den er im Geheimen spioniert.
Inmitten des nun schon Jahrzehnte andauernden Säbelrasselns zwischen Israel und seinen Nachbarn war Ägypten immer eine Ausnahme. Zumindest seit dem Abschluss des Friedensabkommens, das die beiden Länder 1979 unterzeichneten und welches nicht nur zur Ermordung von Sadat durch Fundamentalisten führte, sondern auch zu der Isolation seines Landes. Dabei hätte das alles ganz anders kommen können. Wäre Ägypten 1973 erfolgreicher gewesen, als es zusammen mit Syrien und unterstützt von anderen Nationen Israel angriff, um die im Sechstagekrieg verlorenen Gebiete zurückzuerobern, wer weiß, wie die Situation im Nahen Osten heute aussähe.
Verrat oder Heldentat?
Der Netflix-Film Der ägyptische Spion, der Israel rettete mag über das was-wäre-wenn-Szenario nicht wirklich viel spekulieren. Er ist genug damit beschäftigt, die tatsächliche Geschichte irgendwie erklären zu wollen. Und es ist ja auch erklärungsbedürftig, weshalb ein bedeutendes Mitglied der politischen Elite Geheimnisse an den Erzfeind verrät. So geschehen bei Ashraf Marwan, der mehrere Jahre als Spion für Israel tätig war und den Jom-Kippur-Krieg zwar nicht verhindern konnte, wohl aber dessen Ausmaße minimieren, indem er im letzten Moment vor dem bevorstehenden Angriff warnte.
Basierend auf dem Buch The Angel: The Egyptian Spy Who Saved Israel von Uri Bar-Joseph nimmt uns der Film mit in das Ägypten der 1960er und begleitet Marwan während seines politischen Aufstiegs und seiner geheimen Aktivitäten. Die noch immer umherschwirrende Theorie, er sei in Wahrheit ein Doppelagent gewesen, der Israel vielmehr ausnutzte, anstatt dem Land helfen zu wollen, die wird hier nicht aufgegriffen. Vielmehr zeichnet Regisseur Ariel Vromen (The Iceman) hier das Bild eines intelligenten, mutigen Mannes, der sehr viel langfristiger dachte und auch der Sowjetunion skeptisch gegenüberstand.
Die schwierige Suche nach der Balance
Das könnte der eine oder andere Zuschauer als Propagandafeldzug auffassen, zumal Israels Rolle in dem Konflikt kaum angesprochen wird. Tatsächlich spielen die Israelis hier allgemein fast gar keine Rolle. Toby Kebbell (Sieben Minuten nach Mitternacht) darf zwar ständig als Repräsentant des israelischen Geheimdienstes mitreden, seiner Figur wurde jedoch wenig Substanz mitgegeben. Stattdessen konzentriert sich der Film völlig auf einen Mann, der verloren zwischen zwei verfeindeten Staaten nach einer Lösung sucht. Verkörpert wird dieser von Marwan Kenzari (Mord im Orient-Express), der seine Rolle gleichermaßen aufrichtig und geheimnisvoll anlegt.
Insgesamt ist die Stimmung des Films geheimnisvoll, ein klassischer Spionagethriller, der sich auf die brisante Situation verlässt anstatt auf Actionszenen. Wer solche Streifen mag, der findet hier auch ansprechend ausgestatteten Nachschub, wenngleich im Internet viele kritische Stimmen auf Fehler aufmerksam machen – besonders in sprachlicher Hinsicht. Zu viel sollte man von dem Inhalt aber so oder so nicht erwarten, da Der ägyptische Spion, der Israel rettete sichtlich mit der Balance kämpft. Auf der einen Seite muss viel erklärt werden, da das heutige Netflix-Publikum mit Sicherheit nicht mit den Einzelheiten der über 45 Jahre zurückliegenden Geschichte vertraut ist. Das führt dazu, dass es doch eine ganze Weile dauert, bis das eigentliche Thema erreicht wird. An anderen Stellen bleibt es jedoch bei Andeutungen und knappen Ausführungen, viele Fragen bleiben offen. Wer wirklich mehr über die Hintergründe erfahren will, sowohl zu dem Titelhelden wie auch den Konflikten, der bekommt hier lediglich einen soliden Schnellkurs.
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