Dass die Menschen absolut fasziniert sind von den Missetaten ihrer Mitbürger, das ist kein Geheimnis – je schrecklicher oder auch tragischer umso besser. Ein Bedürfnis, das Netflix ziemlich regelmäßig zu befriedigen versucht, indem der Streaminganbieter eine Doku nach der anderen raushaut. Die können sich mal mit den Verbrechen an sich beschäftigen, wie etwa bei Evil Genius. Gleichzeitig schicken die US-Amerikaner aber auch immer mal wieder Kamerateams in die Gefängnisse, um dort ein paar persönliche Geschichten einzufangen, zuletzt geschehen in der Mörderserie I Am a Killer.
Alles hat ein Ende … und einen Anfang
Ganz so heftig geht es bei Der erste und der letzte Tag nicht zu, die meisten Straftaten sind eher Bagatellen – nicht geleistete Unterhaltszahlungen, Drogenbesitz, Verkehrsdelikte. Dafür hatte Netflix eine andere Idee, wie sich diese Dokuserie von den vielen inmate-Kollegen absetzen kann. Wie der deutsche Titel bereits verrät, stehen hier Anfang und Ende eines Gefängnisaufenthalts im Mittelpunkt. Genauer begleitet jede der sechs Folgen mehrere Leute, die gerade erst ins Gefängnis gekommen sind, meistens in Form von Untersuchungshaft, während der Prozess noch aussteht. Diese Geschichten werden mit solchen verknüpft, in denen Protagonisten ihre letzten Stunden hinter Gittern verbringen, bevor sie wieder in die Freiheit entlassen werden.
Das hört sich nach einem Gimmick an, ist aber doch ganz spannend. Während manche der Befragten beispielsweise Wiederholungstäter sind und das Leben im Knast daher schon kennen, ist es für andere eine ganz neue Erfahrung. Die ständigen Unschuldsbeteuerungen – die meisten behaupten schon aus Prinzip, nichts getan zu haben –, sind dabei zwar nicht sehr abwechslungsreich. Lohnenswerter ist da schon, wie die Leute damit umgehen, eingesperrt zu sein und vielleicht auch zu bleiben. Was macht das mit einem Menschen? Zwangsläufig hat dies aber etwas Voyeuristisches, die Serie weidet sich ein wenig an dem Unglück und der Hysterie, die auch in Nachmittags-Talkshows nicht fehl am Platze wäre.
Viel leid, wenig Zeit
Die Leute, die sich auf der Zielgeraden zur Freiheit befinden, sind da naturgemäß weniger leiderfüllt, wobei einige durchaus auch mit kleinen Sorgen in die Zukunft schauen. Hier wäre es schön gewesen, noch ein bisschen länger dranzubleiben und zu erfahren, wie das Leben nach dem Knast ist. Was es bedeutet, wieder für sich selbst sorgen zu müssen, Verantwortung für die eigenen 24 Stunden zu tragen. Der erste und der letzte Tag macht hier aber relativ schnell Schluss. Ein paar Zeilen zum weiteren Fortgang müssen reichen, schließlich warten schon die nächsten auf ihre Interviews.
Das ist dann auch das größte Manko der Serie: Die Idee hinter Der erste und der letzte Tag ist sicherlich interessant. Wenn in rund 40 Minuten jedoch immer drei bis vier Insassen und ihre Geschichten abgehandelt werden müssen, dann bleibt da kein Raum für Tiefgang. Schick inszeniert ist die Doku ja, mit ihren Splitscreens und Einblendungen von Formularen, auf denen die Anklagepunkte und sonstige Infos festgehalten werden. Eine Checkliste ist dann aber doch zu wenig, um wirklich viel über die Betroffenen zu erfahren, sie als Individuen kennenzulernen. Was spannend beginnt, verliert so relativ schnell seinen Reiz, die zum Teil durchaus tragischen Schicksale werden zu schemenhaften Schatten, die im Gefängnisgrau kaum noch zu erkennen sind.
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