Aus ist es mit dem süßen Leben: Nach dem Tod seines Vaters soll der 17-jährige Franz Huchel (Simon Morzé) endlich etwas anfangen, sich nützlich machen. Und so schickt ihn seine Mutter Margarete (Regina Fritsch) fort ins ferne Wien, wo er in Zukunft beim Trafikanten Otto Trsnjek (Johannes Krisch) in die Lehre gehen soll. Das klappt überraschend gut, Franz versteht sich mit dem grimmigen alten Mann, der nur noch ein Bein hat. Und auch mit der Kundschaft kommt er klar, allen voran mit dem betagten Psychoanalytiker Sigmund Freud (Bruno Ganz), der den jungen Mann von Anfang an fasziniert. Nur eine schafft es, Franz noch mehr zu fesseln: die hübsche Anezka (Emma Drogunova), der er eines Tages begegnet, die im Anschluss aber spurlos verschwindet. Und noch ein weiteres Problem macht dem Jugendlichen zu schaffen, als Wien plötzlich unter der Kontrolle von Hitler steht.
Aufwachsen ist so gut wie nie wirklich einfach, da gibt es als junger Mensch einfach zu viele Baustellen. Da wollen das andere oder auch das eigene Geschlecht entdeckt werden, mindestens der eigene Körper, Hormone spielen verrückt, wenn der Alltag zum Ende der Welt wird. Ganz zu schweigen, dass man innerhalb dieses emotionalen Tohuwabohus ja auch noch im Idealfall nützlich sein soll, für die Zukunft planen soll. Was eine ziemliche Herausforderung ist, wenn man nicht einmal weiß, wer man in der Gegenwart ist.
Der ganz normale Jugendwahnsinn
All das spielt in Der Trafikant mit hinein. Der junge aus dem Dorf am Attersee reist in die Wiener Großstadt, wo er die Liebe und das Leben kennenlernt. Doch die Verfilmung des gleichnamigen Romans von Robert Seethaler ist mehr als nur das. So universell die Themen sind, die Franz umtreiben, so zeitlos seine Probleme, so sehr ist die Geschichte seines Erwachsenwerdens mit einem sehr dunklen Kapitel Wiens verbunden, als aus der weltoffenen Stadt ein Ort des Misstrauens wurde. Der Verfolgung und der Unterdrückung.
Regisseur und Co-Autor Nikolaus Leytner, sonst eher im TV-Bereich daheim, gelingt es auch ganz schön, diese beiden Seiten in Einklang zu bringen: das Alltägliche und die Ausnahmesituation. Franz bewahrt sich sowohl bei seiner Sehnsucht nach Anezka wie auch beim Umgang mit den Nazis seine jugendliche Naivität, ist oft mehr Kind als Mann. Nur dass für Kinder in Der Trafikant kein Platz ist, kein Platz für Unschuld. Düster geht es schon los, mit dem Tod des Vaters. Und trotz der kleinen schönen Momente, die das Geschehen immer wieder auflockern – der erste Abend mit seiner neuen Flamme geht schnell zu Herzen –, so schwingt doch immer das Unheil mit, schleichen sich Schatten ein, die mit der Zeit zunehmend größer werden und näherkommen.
Die Realität vor der Haustür
Dass Franz diese Gefahren nicht als solche erkennt, passt zu einem Film, der gerade auch angesichts seiner Thematik so seltsam entrückt wirkt, losgelöst von dem realen Leben. Immer wieder wird die Geschichte durch Traumsequenzen unterbrochen, wenn Franz doch mehr oder anders sein möchte, als er ist. Und selbst wenn Der Trafikant mal nicht darauf zurückgreift, ist das Drama von einer leicht surrealen Atmosphäre belebt. Ob am heimeligen See oder in dem Laden des Trafikanten, alles ist hier bewusst künstlich gehalten, durch Licht und Farbgebung entsteht der Eindruck, dass das alles gar nicht echt ist.
Und doch bricht das Leben hinein, bricht der Tod hinein: Der Beitrag vom Filmfest Hamburg 2018 erzielt auch deshalb eine so bittere Wirkung, weil es den Widerspruch zwischen den Träumen und der Realität gibt. Das ist gewöhnungsbedürftig. Mindestens. Aber eben auch sehenswert, unter anderem dank eines unbekümmert auftretenden Simon Morzé (Einer von uns), der den zwischen Kindheit und Erwachsenenalter gefangenen Lehrling gibt, charmant, neugierig, unsterblich verliebt und von einer geradezu fahrlässigen Hingabe zu anderen Menschen. Einer, der gerade dann lernt, was es heißt, ein Mensch zu sein, wenn die Welt ihre Menschlichkeit verloren hat.
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