Here and Now
© Warner Bros

Here and Now

„Here and Now“ // Deutschland-Start: 23. August 2018 (DVD)

Bei Audrey Bayer (Holly Hunter) und ihrem Mann Greg Boatwright (Tim Robbins) wurde schon immer Völkerverständigung, Offenheit und Empathie groß geschrieben. Und so haben sie dann auch neben ihrer biologischen Tochter Kristen (Sosie Bacon) noch drei weitere Kinder, die sie aus aller Herren Länder adoptiert haben: Ashley (Jerrika Hinton) aus Liberia, Duc (Raymond Lee) aus Vietnam und Ramon (Daniel Zovatto) aus Kolumbien. Doch friedlich und verständnisvoll geht es in der Familie nur selten zu. Immer wieder geraten sie in Krisen, persönlicher wie privater Natur. Doch die größte Prüfung ist, als Ramon plötzlich eigenartige Visionen hat, die mit seinem Therapeuten Dr. Farid Shokrani (Peter Macdissi) zusammenhängen.

Wir leben in einer Zeit, die verdammt kompliziert ist. Die gleichzeitig aber auch ganz einfach ist, zumindest den Leuten zufolge, die mit wenigen Worten alles erklären können – auf Kosten anderer versteht sich, die an allem schuld sind. Eine Serie darüber zu drehen, was die Menschen heute bewegt, das ist dann auch reichlich ambitioniert. Alan Ball hat es trotzdem gewagt und präsentiert uns in der passenden betitelten Serie Here and Now die Geschichte einer Familie, die ungewöhnlich ist, ziemlich exzentrisch sogar, dabei gleichzeitig jedoch all das verkörpern soll, was uns umtreibt. Und das ist eine ganze Menge.

Eine Themenvielfalt ohnesgleichen
Der Schöpfer von Serien wie True Blood und Six Feet Under und oscargekrönter Drehbuchautor (American Beauty) hat hier dann auch eine beachtliche Themensammlung vorgelegt. Da sind persönliche Aspekte drin wie Ehebruch und Entfremdung, gesellschaftliche Themen, etwa Rassismus und heuchlerische Unternehmen, Religion, Politik, Homosexualität und geschlechtliche Identität dürfen nicht fehlen. Und als Sahnehäubchen obendrauf spielen auch psychische Erkrankungen und die Schere zwischen arm und reich eine Rolle.

Dass eine solche inhaltliche Vielfalt nicht unbedingt zu einem harmonischen Ergebnis führt, ist keine wirkliche Überraschung. Hätte eigentlich auch für Ball keine Überraschung sein dürfen. Anstatt Themen auch einmal zu vertiefen und ihnen die Aufmerksamkeit zu verleihen, die sie verdienen, da gibt es bei Here and Now oft nur recht plakative Auseinandersetzungen, Dialoge, die sich kein wenig drum scheren, ob sie in irgendeiner Form noch natürlich sind. Hauptsache, die Punkte wurden einmal angesprochen, und sei es als Bulletpoint-Gespräch. Wo sich beispielsweise die Serie Dear White People ausführlich mit dem Thema Rassismus auseinandersetzt, auch Relativierungen eines solchen, da bleibt hier nur eine Szene.

Visionen einer anderen Welt
Die Hektik von Here and Now ist aber auch dadurch bedingt, dass die Serie zwar in erster Linie ein Drama ist und als solches verkauft wurde, jedoch zusätzlich starke Mysteryanleihen hat. Die eigenartigen Visionen von Ramon, die nicht minder seltsame spirituelle Verbindung zwischen ihm und seinen Therapeuten, die vielen Geheimnisse um deren Vorgeschichte, die hier angedeutet werden, ohne ein Ende zu finden, die hinterlassen so viele Fragen, dass überhaupt keine Zeit mehr bleibt, um über die anspruchsvolleren Anliegen nachzudenken. Was auch deshalb sehr frustrierend ist, da nach einer Staffel schon Schluss war, die von vielen verrissene Serie bereits abgesetzt ist.

Und es ist schade. Schade um surrealen Ereignisse, die nun ohne Auflösung bleiben. Schade um die Schauspieler, die hier durchwegs gute Arbeit abliefern und zumindest phasenweise ihren Figuren die Glaubwürdigkeit mitgeben, welche das Drehbuch ihnen verweigert. Schade eben auch um die spannenden Themen, die angeschnitten werden und selbst in dieser wenig ausgearbeiteten Fassung jede Menge Denkanstöße bieten. Here and Now mag nicht so clever sein, wie es die Serie gern wäre, ist aber in ihrem Scheitern dennoch interessanter als so manch andere Produktion, die im Fernsehen Aufmerksamkeit für sich in Anspruch nimmt.



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Eine Multikulti-Familie scheitert an den eigenen Ansprüchen, scheitert an sich selbst und letztendlich auch an den eigenartigen Visionen eines der Mitglieder. Das ist als Mischung interessant, auch gut gespielt, selbst wenn viele Themen nur plump und oberflächlich bearbeitet werden und „Here and Now“ trotz hoher Ambitionen ohne jegliche Glaubwürdigkeit ist.
6
von 10