Man muss nicht sonderlich für Architektur schwärmen, damit einem das Herz blutete. Man musste den Ort nicht einmal kennen. Als der Islamische Staat im Jahr 2015 die berühmten Tempel von Palmyra in Syrien zerstörte, dann war einem auch so klar, welche Tragödie dies bedeutete. Zumindest dachte man das. In seinem nach der antiken Stadt benannten Film geht Hans Puttnies noch einmal auf Spurensuche, nimmt uns mit auf eine eigenwillige Reise in die Vergangenheit. Die Aufnahmen selbst stammen nicht aus der aktuellen Ruine, die vor der Invasion ein beliebter Touristenort war. Stattdessen wurden sie 2008 gemacht, lange vor dem IS, lange vor dem Syrienkrieg. Lange auch, bevor Puttnies auf die Idee kam, daraus einen Film machen zu wollen.
Palmyra ähnelt dann zunächst auch einem reinen Touristenfilm. Wenn Puttnies durch die Ruinen streift, Tempel auf Band verewigt, die kunstvollen Verzierungen, die einsamen Wüstenlandschaften, dann könnte das von jedem Besucher stammen, der hier vorbeikam, um das berühmte Weltkulturerbe zu sehen. Ein kleines Andenken für zu Hause, mit denen man Familie und Freunde zu beeindrucken versucht. Beeindruckend sind die Bilder auch, geradezu idyllisch. Der eigentliche Reiz des Films, der liegt jedoch woanders.
Ein kritischer Blick auf die Geschichtsbücher
Puttnies ist weniger daran interessiert, einfach nur das abzubilden, was hier einmal stand und als Zeugnis der Antike so viele Menschen anzog. Vielmehr stellte er eben dieses Zeugnis in Frage. Palmyra war eben mehr als nur ein Ort für die Geschichtsbücher. Es war ein Ort, an dem Menschen lebten, die von eben diesen Geschichtsbüchern vergessen wurden. Das liegt auch daran, dass die Stadt, die so lange existierte, in der die Menschen vor Jahrtausenden schon Handel trieben, zwar in vielen Schriften erwähnt wurde, etwa im Alten Testament. Eigene Schriften hat sie jedoch kaum hervorgebracht. Warum das so ist, will Puttnies an einer Stelle von seinem Gesprächspartner wissen. Doch eine Antwort, die erhält er nicht.
Es ist eine der wenigen Szenen, in der überhaupt ein anderer zu Wort kommt. Ein Großteil von Palmyra besteht daraus, dass Puttnies als Voice Over über die Stadt spricht. Mal befasst er sich mit der Geschichte, etwa der von Zenobia, die im 3. Jahrhundert n. Chr. über die Stadt herrschte und durch Eroberungsfeldzüge so mächtig wurde, dass sie selbst von Rom als Bedrohung wahrgenommen wurde. Oft stellt er aber unser Konzept von Geschichte in Frage, das ihm zu einseitig ist, Palmyra zu stark zu einem Konstrukt reduzierte.
Eine vergessene menschliche Erinnerung
Immer wieder schwankt Palmyra dadurch zwischen Dokumentarfilm und Essay hin und her, erklärt und fragt gleichermaßen. Das wirkt manchmal sehr losgelöst von dem Geschehen, auch wegen des Einsatzes von elektronischer Musik, der die Originalgeräusche überdeckt. Ein bisschen traumartig sogar, wie in Trance. Den stärksten Eindruck hinterlässt jedoch ausgerechnet ein Moment, der dann doch ganz konventionell und nah dran ist: Ein Jugendlicher erzählt darin, wie er Geld mit dem Verkauf von Andenken an Touristen verdiente. Auch das hat sich seither geändert, der IS hat beide vertrieben – die Verkäufer und die Käufer. Die Tragödie von Palmyra, der Verlust von Geschichte, er wird hier zu einer persönlichen, menschlichen Geschichte, an die wir uns ohne den Film nicht mehr erinnern würden, weil auch dafür in den Geschichtsbüchern kein Platz ist.
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