Es gibt ja so viele Gründe, ans Meer fahren zu wollen. Man kann sich entspannen, ein bisschen zum sanften Wellenrauschen, vielleicht dem einen oder anderen Möwenschrei die Seele baumeln lassen, einfach mal wieder das Leben genießen. Der eine oder andere wird sich vielleicht auch an der unberechenbaren Naturgewalt erfreuen, die das Meer immer wieder zu einem Abenteuer machen kann. Oder man sucht nur die Abkühlung, wenn wie in diesem Jahr die Temperaturen daran arbeiten, alte Rekorde zu brechen.
In Deutschland bietet sich dafür die Ostsee an, ein traditionell beliebtes Urlaubsziel für Familien und Ruhesuchende. Doch nicht diese hat Volker Koepp auf seinem Programm, als er auf seine filmische Rundreise startet. Seestück, der Titel bezieht sich auf einen Begriff in der Bildenden Kunst über Gemälde mit maritimen Motiven, interessiert sich nicht für die Leute, die hier einen kurzen Zwischenstopp einlegen, um den Alltag zu vergessen. Vielmehr sind es die Leute, für die hier der Alltag herrscht, die in dem Film zu Wort kommen sollen.
Zu Besuch bei alten Bekannten
Es ist dann auch kein Wunder, wenn sich in der Anfangsszene Koepp und ein alter Fischer über Uwe unterhalten. Wer Uwe ist, das erfahren wir nicht, auch nicht, wer der Gesprächspartner sein soll. Und doch entsteht auf diese Weise gleich das Gefühl, welches Seestück die ganze Laufzeit über prägen wird: Man ist hier unter sich, alte Bekannte, die sich schon so vertraut sind, dass es keine Worte der Vorstellung mehr braucht. Was auch damit zusammenhängt, dass Koepp sehr oft in dieser Gegend unterwegs ist, die Kamera im Schlepptau.
Das bedeutet nicht, dass das Geschehen statisch ist. Vielmehr nutzt der deutsche Regisseur die Gelegenheit, um die Veränderungen zu dokumentieren, die hier seit einiger Zeit stattfinden. 30 Jahre ist es nächstes Jahr her, dass die Mauer fiel und die Wege öffnete in den Osten. Koepp war damals schon hier unterwegs, drehte auf Usedom einen Film. Doch auch wenn Reisen seither einfacher geworden ist, Seestück zusätzlich zu Deutschland und Schweden Polen sowie den baltischen Ländern einen Besuch abstattet, die Atmosphäre ist angespannt. Viele der Leute, mit denen sich Koepp unterhält, berichten von Angst vor dem nahen Russland, das seine Ansprüche auf die umliegenden Länder nie aufgegeben hat – so zumindest die Befürchtung.
Über das Leben in der Natur
Aber auch ein zweites gesellschaftliches Thema treibt die Leute um: Ökologie. Klar, wessen Leben derart stark von der Natur abhängt, Fischer und Seeleute, der hat einen anderen Bezug zu deren Schicksal als Horden von Touristen, die ihren Dreck zurücklassen. Eine Frau schwärmt davon, dass es der schönste Ort der Welt sei, wie sie da am Strand steht, inmitten versprengter Steine, eine menschenferne Ursprünglichkeit genießt, wie wir sie aus unserem Alltag kaum noch kennen.
Persönliche Geschichten bilden dabei das Herzstück von Seestück. Wenn Koepp Männer und Frauen aus den unterschiedlichsten Ländern und den unterschiedlichsten Hintergründen zu Wort kommen lässt, dann setzen sich diese Einzelteile zwar zu einem umfassenden Panoramabild der Ostsee zusammen. Aber es sind doch die persönlichen Schicksale und Anekdoten, die den Dokumentarfilm auszeichnen, kleine Familiengeschichten, die gleichzeitig nichts und doch alles bedeuten.
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